Jessica Schröder, 1. Auflage 2023, 419 Seiten, 129 EUR, Nomos Verlag, ISBN 978-3-7560-1188-9
Wir leben in einer immer älter werdenden Gesellschaft, welche sich aufgrund der langen Lebensdauer folglich mit dem Thema der kognitiven Krankheiten, insbesondere auch der Demenz beschäftigen muss.
Viele Menschen errichten in der heutigen Zeit Vorsorgevollmachten mit Patientenverfügungen oder isolierte Patientenverfügungen, um für den Fall, dass sie nicht mehr ihre Angelegenheiten selbst besorgen, ihren Willen nicht mehr bilden oder verständlich äußern können und nicht mehr geschäftsfähig sind, einem Dritten ihre Wünsche betreffend die medizinischen Behandlungen vermitteln können. Dies gilt für die Fälle, in denen der Sterbeprozess begonnen hat, eine unheilbare Krankheit oder auch eine fortgeschrittene Demenz mit Einschränkungen der Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme vorliegen. Patientenverfügung werden errichtet, solange die Erteilenden sich bei bester Gesundheit befinden und die eben genannten Stadien als unwürdig ansehen und keine lebenserhaltenen Maßnahmen wünschen. Ein Widerruf ist jederzeit formlos und sogar nonverbal möglich.
Fraglich ist nunmehr, wie die Situation tatsächlich zu beurteilen ist, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, der Demenzkranke jedoch den Anschein erweckt, dass das dort Niedergeschriebene nicht mehr gewollt sei. Es stellt sich folglich die Frage, wie ein aktueller, natürlicher Wille des Demenzkranken, welcher zu der Patientenverfügung divergiert, im Rahmen der Feststellung des Willens durch Mediziner und Pflegepersonal, einen Bevollmächtigten, Betreuer oder das Betreuungsgericht einzuordnen ist. Hiermit beschäftigt sich die vorliegende Arbeit.
Die Autorin beleuchtet zunächst die verschiedenen Arten der Demenz, ihre Ursachen und den Krankheitsverlauf. Sodann zeigt diese auf, inwieweit die Forschung im Rahmen der Heilung sowie Behandlung fortgeschritten ist. Daneben werden die Defizite des deutschen Versorgungssystems näher beleuchtet. Sodann erfolgt eine kurze Darstellung der Herausforderungen der Krankheit für den Betroffenen, sein soziales Umfeld und der Gesellschaft im Allgemeinen.
Im zweiten Teil der Arbeit beschäftigt sich die Autorin zunächst mit der Patientenverfügung an sich, deren Errichtung und der Frage, wer der Adressat der Patientenverfügung ist. Darüber hinaus werden auch die strafrechtlichen Konsequenzen bei einer Behandlung entgegen dem geäußerten Willen oder im Rahmen einer Nichtbeachtung der Vorschriften der §§ 1827 ff BGB aufgezeigt.
Der dritte Teil der Arbeit beschäftigt sich mit einem möglichen Widerspruch zwischen dem in der Patientenverfügung Niedergelegten und dem aktuellen Willen des Demenzkranken. Zunächst wird das Problem an sich umrissen, die Zurechenbarkeit der Patientenverfügung erläutert und die Möglichkeit eines Widerrufs der Patientenverfügung und dessen Voraussetzungen aufgezeigt. Es wird diskutiert, ob auch ein Geschäftsunfähiger eine Vollmacht widerrufen kann, und das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit näher beleuchtet. Die Problematik des Lebensschutzes wird erörtert und diskutiert, ob die natürliche Willensfähigkeit ausreichend ist. Es wird mehr als deutlich, dass diese Problematik sehr umstritten ist.
Im letzten Teil werden die verschiedenen Willenskonzepte erläutert. Der natürliche Wille und dessen Beurteilung werden dargestellt, auch werden der ausdrückliche Widerrufswille, wie die Verweigerung der Nahrungsaufnahme, Legung eines Zugangs oder einer Sonde, von Hygiene- und Pflegemaßnahmen erläutert, und der mutmaßliche Widerrufswille aufgrund Gefühlsregungen sowie deren Ursachen dargestellt. Beim Lesen wird mehr als deutlich, dass ohne entsprechende Ausbildung die Deutung eines mutmaßlichen Willens für eine dritte Person kaum möglich ist. Daneben werden die bis dahin geltenden verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Genehmigung bei einer Divergenz der Auffassung des behandelten Arztes und dem Vollmachtinhaber, Betreuer etc., erläutert. Die juristischen Möglichkeiten sowie die Möglichkeiten der Feststellung des wahren Willens werden aufgezeigt.
Die Autorin zeigt im Rahmen ihrer Arbeit auf, dass ein mutmaßlicher Widerruf nicht ausreichend ist die Patientenverfügung zu beseitigen, und diskutiert, ob ein ausdrücklicher Widerwille gegen Nahrungsaufnahme oder ärztliche Behandlung ausreichen, um die Patientenverfügung und den darin geäußerten Willen zu widerrufen. Es wird mehr als deutlich, dass im Zweifel die Patientenverfügung und ihre Regelung fortgelten, wenn nicht wahrscheinlich festgestellt werden kann, dass ein Widerruf vorliegt.
Im Rahmen der Arbeit wird ein möglicher Lösungsweg aufgezeigt, um einen Widerruf zu ermitteln, und es wird deutlich vor Augen geführt, dass diese Thematik rechtliche, ethische und medizinische Relevanz hat, und sich die Gesellschaft mit diesem Thema auseinandersetzen muss.
Das Buch erschien bereits im Jahr 2023, jedoch hat die Autorin die gesetzlichen Neuerungen, welche seit dem 1.1.2023 aufgrund der Reform des Vorsorge- und Betreuungsrechts gelten, eingearbeitet.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass dieses Buch dazu dient, sich mit der Problematik des Auseinanderfallens des zu gesunden Zeiten Verfügten und dem aktuellen Willen betreffend das Krankheitsbild der Demenz zum ersten Mal auseinanderzusetzen, aber auch sein Augenmerk betreffend die Problematik zu verschärfen. Es ist sowohl für Juristen, als auch Mediziner geeignet, um einen Einstieg zu dieser höchst problematischen Thematik zu finden.
Isabelle C. Losch, Frankfurt am Main