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Übersicht über das Sozialrecht

hrsg. vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BW Bildung und Wissen Verlag und Software GmbH, Nürnberg, 16. Auflage 2019, 48,– Euro (inkl. CD-ROM), ISBN 978-3-8214-7255-3

Die 16. Auflage mit einem Umfang von stolzen 1384 Seiten tritt an, in 26 Kapiteln einen Überblick über alle Bereiche des Sozialrechts zu geben. Die Autoren entstammen weit überwiegend dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Erklärte Zielgruppe sind Fachleute in sozialen Einrichtungen und Diensten, in Verwaltungen und Unternehmen, Lehrende und Studierende der sozialen Arbeit und interessierte Bürgerinnen und Bürger.

Die Kapitel folgen zunächst der Reihenfolge des Sozialgesetzbuches, was angesichts der Verzahnungen insbesondere des Ersten und Zehnten Buches, aber auch des Neunten Buches mit dem Dritten, Fünften, Sechsten und Siebten Buch überdenkenswert erscheint. Der Einstieg in die Materie gelingt jeweils durch einen gut lesbaren historischen Aufriss der Gesetzesentwicklung (z. B. ab S. 149 zum SGB V und ab S. 331 zum SGB VI), der teilweise seines Gleichen sucht und erheblich zum besseren Verständnis der Materie beiträgt. Sodann folgen die Bereiche der bislang noch außerhalb des Sozialgesetzbuches kodifizierten Sozialleistungen (z. B. Kinder- und Elterngeld, Ausbildungsförderung, Kriegs- und Gewaltopferentschädigung), die überwiegend einem vergleichbaren Aufbau folgen.

Leider fällt die Gewichtung der einzelnen Kapitel höchst unterschiedlich aus; das erweist sich als Schwäche des Werks: eher (zu) knapp erscheint der Überblick z. B. über das Erste, Zweite, Dritte, Siebte und Achte Buch, die Soziale Sicherung der Beamten und die Sozialgerichtsbarkeit (jeweils maximal 40 Seiten). Opulent sind dagegen die Ausführungen zum Fünften, Sechsten und Zwölften Buch (bis zu 230 Seiten), auch das Elfte Buch, die Ausbildungsförderung und das Internationale Sozialrecht sind ausführlicher behandelt (74 bis 94 Seiten).

Insbesondere die Kapitel zum Fünften und Sechsten Buch sind gut als Literatur für Studierende in Studiengängen mit Sozialrechtsbezügen, aber auch für Rechtsanwender bei Gerichten, Behörden und Interessenverbänden geeignet, weniger hingegen für den gelegentlichen Gebrauch durch Praktiker ohne vertieften juristischen Bezug sowie interessierte Laien. Für letztere erscheinen zwar die Kapitel mit knapperen Darstellungen nützlich, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Das hat indes seinen Preis: So enthält das siebte Kapitel zum Unfallversicherungsrecht nur vereinzelte Beispiele zu Arbeits- und Wegeunfällen (die Ausführungen hierzu beschränken sich auf weniger als eine Druckseite) und nur eine grobe Aufzählung der anerkennungsfähigen Berufskrankheiten. Hier erschiene es zum besseren Verständnis lohnend, zumindest stichwortartig auf von der Rechtsprechung entschiedene Einzelfälle Bezug zu nehmen, um die große Bandbreite des Versicherungsschutzes und die Schnittstellen zwischen versicherter und unversicherter Tätigkeit erfahrbar zu machen. Zudem enthalten die kürzeren Kapitel einige pauschale Aussagen, die beim Lesen zu Fehlinterpretationen Anlass geben könnten. So wird z. B. im Zusammenhang mit dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (S. 12) nicht deutlich, dass dieser nicht auf eine Leistung, sondern auf die Beseitigung der durch eine Amtspflichtverletzung (in aller Regel eine unzureichende Beratung) eingetretenen Rechtsnachteile gerichtet ist – also die Nachholung (!) einer rechtmäßigen (!) Amtshandlung. Auch wird z. B. der Inhalt des § 9 Abs. 3 SGB VII wiedergegeben und – juristisch durchaus diskutabel – als Anscheinsbeweis im Berufskrankheitenrecht bezeichnet (S. 575). Für den Leser gerät so leicht aus dem Blick, dass die hiervon erfassten Fälle mit gesicherter Exposition ohne Anhaltspunkte (= die schlichte Möglichkeit) einer außerberuflichen Ursache in der Praxis selten sind und das Berufskrankheitenrecht weit mehr von unterschiedlichen medizinischen Auffassungen um berufliche und außerberufliche Ursachen bestimmt ist (so insbesondere bei den Wirbelsäulenerkrankungen).

Insgesamt ist das Buch in seiner großen Bandbreite der erfassten Einzelrechtsgebiete eine singuläre Darstellung des deutschen Sozialrechts. Es wird – auch im Hinblick auf den äußerst moderaten Preis – vor allem Studierenden in Studiengängen mit Sozialrechtsbezügen, aber auch manchem Praktiker hilfreich sein. Für Folgeauflagen erschiene eine gewisse Harmonisierung des Kapitelumfangs und ein stärkerer Alltagsbezug wünschenswert. Die hierfür notwendige Richtungsentscheidung – soll es Studienbuch oder laienverständlicher Überblick sein –würde dem Werk sicher so oder so guttun.

Dr. jur. Oliver Schur,
Richter am Landessozialgericht
Niedersachsen-Bremen, Celle