Den meisten Demenzerkrankungen geht eine Phase mit leichten kognitiven Einschränkungen voraus. Neurologen bezeichnen sie als „Mild Cognitive Impairment“ (MCI). Nicht immer ist ein MCI allerdings das Vorstadium einer Demenz. Die Frage, ob und wann die Betroffenen nicht mehr aktiv am Straßenverkehr teilnehmen dürfen, ist daher nicht leicht zu beantworten, wie Professor Schmidtke ausführt. Er ist Facharzt für Neurologie und Geriater und leitet die Gedächtnissprechstunde am Ortenau Klinikum in Offenburg sowie eine Neurologische Rehaklinik in Nordrach.
Auch die Alzheimer-Krankheit beginnt mit einer MCI. Anfangs fällt es den Betroffenen schwer, sich neue Fahrwege zu merken. Manchmal vergessen sie auch, wo sie ihr Auto geparkt haben. Die Fahrsicherheit ist in diesem Frühstadium in der Regel noch ausreichend, schreibt Professor Schmidtke. Lebenslange Fahrpraxis und ein defensiver Fahrstil helfen den Patienten zunächst noch, Defizite des Reaktionsvermögens zu kompensieren. In einem Zeitraum von einigen Monaten bis zu zwei Jahren entwickeln die Betroffenen jedoch häufig eine manifeste Demenz. In diesem Stadium ist die Fahrtauglichkeit aufgrund von Defiziten des räumlichen Denkens und des Reaktionsvermögens im Allgemeinen aufgehoben. Patienten und Angehörige sollten deshalb schon im MCI-Stadium darauf hingewiesen werden, dass die Fahrtauglichkeit wahrscheinlich in absehbarer Zeit nicht mehr gegeben sein wird, rät Professor Schmidtke.
Anders ist die Situation bei der frontotemporalen Demenz, bei der das Denk-, Einsichts- und Urteilsvermögen frühzeitig eingeschränkt ist. Die Patienten fallen zum Beispiel durch wesensfremde und impulsive Handlungen auf. Das Führen eines Kraftfahrzeugs ist daher schon im Frühstadium der Erkrankung nicht mehr zu verantworten. In solchen Fällen plädiert Professor Schmidtke bereits bei ersten Anzeichen der Erkrankung für ein konsequentes ärztliches Fahrverbot. Die Diagnose ist zu Beginn jedoch nicht immer einfach und erfordert eine genaue Untersuchung mit Fremdanamnese, neuropsychologische Tests und eine bildgebende Diagnostik des Gehirns.
Menschen mit Parkinson-Krankheit, die geistig nicht beeinträchtigt sind, können im frühen Krankheitsstadium, eine erfolgreiche Therapie der Bewegungsstörung vorausgesetzt, noch Auto fahren. Ihre Fahrtüchtigkeit wird im Verlauf der Erkrankung unter anderem durch eine verminderte Beweglichkeit, vor allem das rechte Bein betreffend, infrage gestellt. Bei länger währender Parkinson-Krankheit können auch das Reaktionsvermögen und andere geistige Leistungen nachlassen, so dass die Betroffenen auf das Autofahren verzichten müssen, spätestens wenn eine Verlangsamung der Denkabläufe erkennbar wird.
Alles in allem ist die Feststellung der Fahruntauglichkeit nicht einfach. Neurologen und Psychiatern kommt die Aufgabe zu, die Betroffenen zu untersuchen und klar Stellung zu beziehen. Rechtlich bindend ist das ärztliche Urteil nicht. Juristisch betrachtet, ist ein ärztliches Fahrverbot nur eine Warnung. Sie ändert jedoch die Situation insofern, als ein Verstoß als grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz interpretiert werden kann. De facto fahre ein hoher Prozentsatz der Demenzkranken, vor allem ältere Männer, noch Auto. Wenn Gefahr in Verzug ist, kann ein Arzt Meldung an die Führerscheinstelle machen. Eine Strafverfolgung wegen Bruchs der Schweigepflicht droht ihm in dieser Situation nicht.
Weil die Patienten ihre Fahrzeuge rein mechanisch oft noch steuern können, zeigten sie sich oft uneinsichtig. Angehörigen sehen sich oft überfordert, ein ärztliches Fahrverbot durchzusetzen. Hier kann die Frage hilfreich sein, ob sie ihre Kinder oder Enkel noch mit dem Betroffenen fahren lassen würden. Auch ein Hinweis auf die Haftpflichtversicherung kann helfen. Erfährt diese nach einem Unfall von der ärztlichen Diagnose, kann sie gegebenenfalls einen Regressanspruch erheben.
K. Schmidtke:
Fahrtauglichkeit bei Leichter Kognitiver Störung und Demenz
Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 2018; 86 (1);
S 37–42
Pressemittelung der Thieme Verlagsgruppe, Stuttgart