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OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.11.2023 – 3 UF 213/21

Schlagwörter: Gutachten – Honorar - Kostenhöhe - Hinweispflicht

Leitsatz:

1. Teilt ein Sachverständiger mit, dass die voraussichtlichen Kosten der Begutachtung möglicherweise erheblich außer Verhältnis zum Verfahrenswert stehen werden, genügt er seiner Hinweispflicht nach § 407 a Abs. 4 ZPO.

2. Der vom Sachverständigen angegebene Zeitaufwand ist vom Gericht in der Regel nicht in Frage zu stellen.

Tenor

Die der Sachverständigen A für die Erstattung ihres schriftlichen Gutachtens vom 12.06.2023 zu zahlende Vergütung wird festgesetzt auf 20.890,47 €.

Aus den Gründen:

I.

Gegenstand des vor dem Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens ist die vom Kindesvater begehrte Abänderung einer Sorgerechtsentscheidung, mit der der Kindesmutter die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind allein übertragen worden ist.

Mit Beschluss vom 22.11.2022 hat der Senat die Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens zu der Frage, wie sich ein Leben des Kindes in der Obhut des Kindesvaters bzw. eine Aufrechterhaltung der Fremdunterbringung auf dessen Wohl auswirken würde, beschlossen. Wegen der dabei im Einzelnen zu beleuchtenden Fragen wird auf den Beweisbeschluss Bl. 766 f d. A. Bezug genommen; ein Kostenrahmen war nicht vorgegeben worden. Mit der Erstellung des Gutachtens war die im Rubrum des vorliegenden Beschlusses benannte Sachverständige beauftragt worden.

Die Sachverständige wies mit Schriftsatz vom 24.02.2023 den Senat auf den Stand der Begutachtung, die noch ausstehenden weiteren Schritte, die einen erheblichen zeitlichen Umfang beanspruchen würden und wörtlich wie folgt hin: „Insofern möchte ich hiermit meiner Verpflichtung nachkommen, i. S. v. § 407 a Abs. 4 ZPO darauf hinzuweisen, dass die voraussichtlichen Kosten, die durch die Begutachtung entstehen werden, möglicherweise erheblich außer Verhältnis zum Verfahrenswert stehen werden“. Außerdem hat die Sachverständige „aufgrund der bereits fortgeschrittenen Begutachtungszeit, besonders aber wegen der erheblichen Datenfülle in vorliegender Sache, die einen größeren zeitlichen Aufwand zur Ausarbeitung des schriftlichen Gutachtens erfordert“ vorsorglich um Verlängerung der vom Senat bestimmten Frist zur Gutachtenerstattung gebeten. Der Senat hat ohne weitere Stellungnahme zur Kostenproblematik mit Beschluss vom 27.02.2023 die beantragte Fristverlängerung bewilligt.

Für das von ihr unter dem Datum 12.06.2023 erstattete Gutachten hat die Sachverständige mit Schreiben gleichen Datums 20.890,47 € in Rechnung gestellt. Wegen der einzelnen Rechnungspositionen wird auf die Rechnung Bl. 1040 ff d. A. Bezug genommen.

Der Bezirksrevisor hat mit Vermerk vom 29.06.2023 - mit Verfügung vom 15.08.2023 elektronisch eingereicht - im Namen der Staatskasse die gerichtliche Festsetzung gem. § 4 JVEG beantragt und Bedenken gegen die Höhe der geltend gemachten Vergütung formuliert. Der in Rechnung gestellte Betrag - so die Argumentation - überschreite den Wert des Streitgegenstandes (4.000 €) um mehr als das 5- fache und stehe damit außer Verhältnis, worauf die Sachverständige nach §§ 30 Abs. 1 FamFG, 407 a Abs. 4 S. 2 ZPO hätte hinweisen müssen. Der Hinweis der Sachverständigen im Schreiben vom 24.02.2023, dass die voraussichtlich entstehenden Kosten „möglicherweise“ außer Verhältnis zum Streitgegenstand stehen könnten, sei zu unbestimmt und unzureichend. Außerdem mache die Sachverständige einen Zeitaufwand für das Studium von 1750 Blatt Akten (100 Blatt = 1 Stunde) geltend, obgleich bei Übersendung der Akte diese nur 768 Blatt umfasst habe.

Die Sachverständige hat mit Schriftsatz vom 26.07.2023 zum Festsetzungsantrag des Bezirksrevisors Stellung genommen und dabei im Einzelnen die im Rahmen der Begutachtung einbezogenen Akten nebst deren Umfang benannt. Es könne nicht von einer 5- fachen Überschreitung des Verfahrenswertes ausgegangen werden, weil aufgrund der besonderen Komplexität des Falles und der erforderlichen hohen Reisetätigkeit angesichts der Unterbringung des Kindes in Goslar der Verfahrenswert deutlich höher als 4.000 € festzusetzen sei. Mit der im Hinweisschreiben vom 24.02.2023 gewählten, vielleicht unglücklichen Formulierung von „möglicherweise“ zu erwartenden höheren Kosten, habe sie sich an einem Beispieltext orientiert.

Auf ihren Antrag war der Sachverständigen am 19.09.2023 ein Vorschuss in Höhe von 9.520 € gezahlt worden.

Erstinstanzlich war der Verfahrenswert vom Amtsgericht mit Beschluss vom 29.10.2021 auf 4.000 € festgesetzt worden; der Senat hat noch keine Wertfestsetzung vorgenommen.

II.

Auf den Antrag der Staatskasse war die an die Sachverständige A zu zahlende Vergütung für das schriftliche Gutachten vom 12.06.2023 gem. § 4 Abs. 1 JVEG auf 20.890,47 € festzusetzen. Die von der Sachverständigen mit Rechnung vom 12.06.2023 in Ansatz gebrachten Beträge sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die Erforderlichkeit der von der Sachverständigen durchgeführten Untersuchungen für die Beantwortung der gerichtlichen Fragestellungen sind von dem Bezirksrevisor ebenso wenig in Zweifel gezogen worden wie der Ansatz des sich aus Teil 2 M3 Nr. 15 der Anlage zu § 9 Abs. 1 JVEG ergebenden Stundensatzes von 120 €.

Auch die von der Sachverständigen abgerechneten Zeiten sind nicht zu beanstanden. Die erforderliche Zeit im Sinne des § 8 Abs. 2 JVEG ist nach einem abstrakten und objektiven Maßstab zu ermitteln. Zugrunde zu legen ist derjenige Zeitaufwand, den ein Sachverständiger mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen braucht, um sich nach sorgfältigem Aktenstudium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehenden Überlegungen und Untersuchungen seine gutachterliche Stellungnahme zu den ihm gestellten Fragen schriftlich niederzulegen. In der Regel ist der vom Sachverständigen angegebene Zeitaufwand vom Gericht nicht in Frage zu stellen. Bei einem erfahrenen Sachverständigen ist davon auszugehen, dass die von ihm angegebene Zeit für die Gutachtenserstellung erforderlich war, außer es besteht eine außergewöhnliche Diskrepanz zwischen erbrachter Leistung und Zeitaufwand oder es bestehen konkrete Anhaltspunkte, diesen Zeitaufwand in Frage zu stellen (Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 7. A., Rn. 296; OLG Nürnberg, FamRZ 2019, 130, Rn. 13 - zitiert nach juris).

Auf der Basis dieser Grundsätze können die von der Sachverständigen hier aufgelisteten Zeiten aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden. Mit dem Ansatz von 100 Seiten pro Stunde für das Aktenstudium, sechs Seiten pro Stunde für die Erstellung des Datenteils, einer Seite pro Stunde für die Ausarbeitung des Befundes und 12 Seiten pro Stunde für Durchsicht und Korrektur hält sich die Sachverständige noch im Rahmen des „objektiv erforderlichen Zeitaufwandes“ (OLG Nürnberg, a. a. O., Rn. 16, 17, 18; Lack/Hammesfahr, Psychologische Gutachten im Familienrecht, Rn. 193), was von dem Bezirksrevisor auch nicht in Zweifel gezogen worden ist. Dessen Rüge, die Sachverständige habe einen Zeitaufwand für das Studium von 1750 Blatt Akten geltend gemacht, obgleich bei Übersendung an die Sachverständige diese nur einen Umfang von 768 Blatt gehabt habe, greift nicht durch. Insoweit hat die Sachverständige nämlich in ihrer Stellungnahme vom 26.07.2023 im Einzelnen aufgelistet, welche Beiakten sie neben der tatsächlich nur 769 Seiten umfassenden Hauptakte sie noch studiert hat. Die in der Abrechnung angesetzte Seitenzahl von insgesamt 1750 ist danach korrekt.

Eine Kürzung der in Rechnung gestellten Vergütung nach § 8 a Abs. 3 JVEG wegen Verletzung der Hinweispflicht nach § 407 a Abs. 4 S. 2 ZPO, dass voraussichtlich Kosten erwachsen, die erkennbar außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstands stehen - wie vom Bezirksrevisor angeregt -, kommt nicht in Betracht. Dabei kann die in Rechtsprechung und Literatur streitige Frage, ob § 407 a Abs. 4 S. 2 ZPO auf die von Amts wegen geführten Kindschaftsverfahren überhaupt Anwendung findet (vgl. zum Sach- und Streitstand Dürbeck, NZFam 2023, 8 ff m. w. N.), dahingestellt bleiben, weil vorliegend die Sachverständige mit Schriftsatz vom 24.02.2023 jedenfalls im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes der ihr danach obliegenden Hinweispflicht genügt hat.

Die Sachverständige hat mit diesem Schriftsatz nicht nur über den Sachstand der Begutachtung berichtet, auf den „erheblichen zeitlichen Umfang“ der noch ausstehenden Diagnostikschritte hingewiesen und wegen des „größeren zeitlichen Aufwands“ auch eine Verlängerung der Frist zur Erstellung des Gutachtens beantragt, sondern auch ausdrücklich unter Bezugnahme auf § 407 a Abs. 4 ZPO hervorgehoben, dass „die voraussichtlichen Kosten, die durch die Begutachtung entstehen werden, möglicherweise erheblich außer Verhältnis zum Verfahrenswert stehen werden“. Damit war das Gericht, welches in den von Amts wegen betriebenen Kindschaftsverfahren der maßgebliche Adressat des gebotenen Hinweises ist, zunächst hinreichend informiert und es hätte diesem nun angesichts des vorstehend benannten Streits über den Bestand der Hinweispflicht in Kindschaftsverfahren und der daraus resultierenden Verunsicherung der Sachverständigen oblegen, die „angemessenen“ Kosten auf einen bestimmten Betrag zu beschränken und vom Sachverständigen eine erneute Mitteilung für den Fall einer weiteren Überschreitung anzufordern (Salzgeber, a. a. O., Rn. 301 a. E.; KG FamRZ 2002, 411 Rn. 3 - zitiert nach juris). Da der Senat auf den Hinweis mit Schriftsatz vom 24.02.2023 aber betreffend die voraussichtlichen Sachverständigenkosten in keiner Weise reagiert, vielmehr kommentarlos die weiter beantragte Verlängerung der Frist zur Gutachtenserstellung bewilligt hat, durfte die Sachverständige darauf vertrauen, ihrer Hinweispflicht gem. § 407 a Abs. 4 ZPO genügt zu haben.

Die von der Sachverständigen gewählte Formulierung, dass die voraussichtlichen Kosten „möglicherweise“ außer Verhältnis zum Verfahrenswert stehen, steht - entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors - der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Da der Senat den Wert für das Beschwerdeverfahren noch nicht bestimmt hat, ist die Überschreitung schon allein deshalb problematisch, weil unklar ist, ob mit dem Regelwert von 4.000 € oder - angesichts der Komplexität des Falles durchaus vertretbar - mit einem gem. § 45 Abs. 3 FamGKG erhöhten Verfahrenswert zu rechnen ist.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil das Verfahren gem. § 4 Abs. 8 JVEG gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden.

Hinweis der Redaktion: Vgl. die im Ergebnis in dieselbe Richtung weisenden Beschlüsse des LSG Bayern vom 24.08.2022 - L 12 S. 209/20, abgedruckt in MedSach 2022, 272 ff.

LSG Schleswig-Holstein vom 06.05.2022 - L 5 AR 22/20 KO, abgedruckt in MedSach 2022, 275 f.

Redaktionell überarbeitete Fassung
eingereicht von P. Becker, Kassel