Leitsätze:
1. Der gerichtliche Sachverständige haftet nur dann für eine falsche Begutachtung, wenn die von ihm mitgeteilten Erkenntnisse Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung geworden sind, nicht aber wenn unter dem Druck eines ungünstigen, falschen Gutachtens ein später als unangemessen empfundener Vergleich geschlossen wird.
2. Fehlende Hinweise zu Behandlungserfordernissen oder Therapieempfehlungen des gerichtlichen Sachverständigen wegen Versäumnissen bei der körperlichen Untersuchung des Anspruchstellers führen nicht zur Schadensersatzhaftung des Sachverständigen.
Aus den Gründen:
(1–3) Der Kläger ist der Witwer Theresia R‘s, die am 20.07.2014 an den Folgen einer Leberzirrhose verstarb. Theresia R. war bis in das Jahr 2002 berufstätig gewesen und dabei kontinuierlich mit Lacken in Berührung gekommen ... Gestützt auf dahingehende gutachterliche Einschätzungen, erstrebte sie deshalb die Anerkennung einer … Berufskrankheit … (Es) erging ein abweisendes Urteil. Darin hieß es, die geltend gemachten Erkrankungen seien nicht festzustellen. Grundlage für die Entscheidung war im Wesentlichen ein neuropsychologisches Sachverständigengutachten des Beklagten zu 1. …, das seinerseits an eine neurologische Stellungnahme der Beklagten zu 2. … anknüpfte. Theresia R. griff das Urteil mit der Berufung an. Das Rechtsmittelverfahren endete am 8.03.2010 durch einen Vergleich. Darin erkannte Theresia R. an, dass die Voraussetzungen zur Feststellung einer Berufskrankheit nicht vorlägen. Im Gegenzug verzichtete die beklagte Berufsgenossenschaft auf die Rückforderung einer Rentenvorschussleistung …
(5–6) In dem vorliegenden … Rechtsstreit hat der Kläger als Miterbe Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten erhoben. Er hat sie gesamtschuldnerisch dafür verantwortlich gemacht, dass das sozialgerichtliche Verfahren nicht zum Erfolg geführt habe. Sie hätten den Prozess, der eigentlich zu Gunsten von Theresia R. hätte entschieden werden müssen, durch die Erstattung grob fahrlässig und sogar vorsätzlich falscher Gutachten beeinflusst, so dass schließlich der gänzlich interessenwidrige Vergleich vom 8.03.2010 habe geschlossen werden müssen. Außerdem sei dem Beklagten zu 1. vorzuwerfen, dass er im Zuge einer sein Gutachten vorbereitenden körperlichen Untersuchung die Leber Theresia R‘s nicht ertastet und deshalb im Hinblick auf deren zirrhotische Erkrankung keine präventiven Maßnahmen veranlasst habe. Daher sei er für deren Tod verantwortlich …
(7–8) Das Landgericht hat die Klage abgewiesen … Dagegen wendet sich der Kläger im Verhältnis zum Beklagten zu 1. mit der Berufung …
(9–10) Das Rechtsmittel vermag nicht durchzudringen. Die klageabweisende Ent-scheidung des Landgerichts hat auch hinsichtlich des Beklagten zu 1. Bestand.
(11) a) Das Landgericht hat richtig erkannt, dass eine Haftung des Beklagten zu 1. wegen fehlerhafter Gutachtenerstellung gemäß § 839 a BGB ausscheidet. Die Vorschrift setzt voraus, dass ein innerhalb eines Rechtsstreits gefertigtes Gutachten eine gerichtliche Entscheidung beeinflusst hat und dann dieser Entscheidung schädigende Auswirkungen nachfolgen (Sprau in Palandt, BGB, 74. Aufl., § 839 a Rn. 4).
(12) Sie ist dagegen unabwendbar, wenn es an einer entsprechenden Entscheidung fehlt, weil der Prozess unter dem Eindruck des Gutachtens durch einen Vergleich beendet wurde (OLG Nürnberg, MDR 2011, 750; Hecker in Erman, BGB, 13. Aufl., § 839 a Rn. 6; Reinert in Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl., § 839 a Rn. 6; Wagner in Münchener Kommentar, BGB, 6. Aufl., § 839 a Rn. 20), wie es im vorliegenden Fall geschehen ist. Unter derartigen Umständen verbleibt der benachteiligten Prozesspartei – mangels einer vertraglichen Beziehung zu dem Sachverständigen – als mögliche Anspruchsgrundlage allenfalls die Bestimmung des § 826 BGB (Sprau a.a.O.). Ob sie überhaupt herangezogen werden darf, kann dahinstehen (verneinend etwa Wagner a.a.O.). Denn aus ihr vermag der Kläger nichts herzuleiten.
(13–15) Es ist bereits fraglich, ob die Berufung überhaupt zulässig ist, soweit der Kläger vorbringt, dass der Tatbestand des § 826 BGB erfüllt sei, weil der Beklagte zu 1. – entgegen den Erkenntnissen des Landgerichts – vorsätzlich falsch begutachtet habe …
(16–20) bb) Für die – im Rahmen des § 826 BGB notwendige – Annahme, der Beklagte zu 1. habe Theresia R. … vorsätzlich, das heißt zumindest im Sinne eines dolus eventualis, geschädigt, gibt es nicht den geringsten tragfähigen Anhalt. …
(21) b) Soweit die Berufung daran anknüpft, dass der Beklagte zu 1. die fortschreitende Lebererkrankung Theresia R‘s hätte erkennen müssen und er pflichtwidrig keine Schritte unternommen habe, um ihr zu begegnen, hebt sie auf eine Unterlassung ab, die nur dann anspruchsbegründend sein könnte, wenn dem Beklagten zu 1. insoweit eine Garantenstellung oblag. Das war indessen weder mit Blick auf Theresia R. noch hinsichtlich des Klägers der Fall, der in Bezug auf einen – durch deren Tod verursachten – „Schockschaden“ auch eine eigene Körperverletzung und damit eine – erstmals durch den zweitinstanzlichen Hilfsantrag verfolgten – persönlichen Ersatzanspruch zur Entscheidung stellt.
(22) Als Gerichtsgutachter hatte der Beklagte zu 1. die Aufgabe, Erkenntnisse darüber zu vermitteln, ob Theresia R. unter einer rententrächtigen Berufskrankheit litt. Ihn traf dagegen nicht die Pflicht zu irgendwelchen Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge zu deren Gunsten und erst recht nicht zu Gunsten des Klägers. Eine solche Pflicht war ihm weder gerichtlich auferlegt worden noch hatte er insoweit eine Gewährzusage gemacht.
(23–24) Mit Blick auf den Schriftsatz des Klägers … ist anzufügen:
(25) Dass § 839a BGB im Falle einer Verfahrensbeendigung durch Vergleich un-anwendbar ist, entspricht nicht nur dem Wortlaut der Norm, sondern deckt sich auch mit der, soweit ersichtlich, einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur.
(26) Da der Beklagte zu 1. Theresia R. oder dem Kläger nicht vertraglich verpflichtet war, konnte eine Unterlassung auf seiner Seite nur haftungsträchtig sein, wenn er eine Garantenstellung inne hatte. Die Voraussetzungen, unter denen eine solche Stellung gegeben ist, sind seit langem höchstrichterlich geklärt.
(27) Für eine vorsätzlich falsche Begutachtung durch den Beklagten zu 1., die das Klageverlangen allein stützen könnte, ist nach wie vor nichts Substantielles dargetan …
Redaktionell überarbeitete Fassung, eingereicht von P. Becker, Kassel