Leitsätze:
1. Ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Feststellung einer Erwerbsminderung im Sinne von § 43 SGB VI ist grundsätzlich der Honorargruppe M 2 zuzuordnen. Allein die Benennung und Prüfung z. B. von einschlägigen Leitlinien oder der Kriterien, die für die Bejahung von Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet im Gutachten abzuprüfen sind, begründet nicht die Annahme eines hohen Schwierigkeitsgrades.
2. Ein Gutachtenauftrag nach Einholung eines Kostenvoranschlages beinhaltet genauso wie die Mitteilung des Gerichts an den Sachverständigen, dass über einen bestimmten Höchstbetrag (ohne vorherige Mitteilung und Genehmigung durch das Gericht) nicht hinausgegangen werden dürfe, keine verbindliche Zusage einer Honorierung in oder bis zu dieser Höhe.
Aus den Gründen:
I.
1 Im Klageverfahren mit dem Aktenzeichen L 12 R 802/17 beauftragte der Berichterstatter des 12. Senats mit Beweisanordnung vom 7.5.2019 den Erinnerungsführer mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG.
2 Am 14.10.2019 erstellte der Erinnerungsführer sein Gutachten. In einer Kostenrechnung der Ärztlichen Verrechnungsstelle B machte er eine Vergütung i.H.v. 3.123,26 Euro für das Hauptgutachten und von 755,89 Euro für das testpsychologische Zusatzgutachten geltend. Mit Verfügung vom 12.11.2019 kürzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) die Vergütungsabrechnung auf 2.379,51 Euro bzw. 577,39 Euro und wies diese Beträge an. Zur Begründung führte er aus, dass ausgehend von der Honorargruppe M 2 i. H. v. 75 Euro zuzüglich Schreibauslagen, Zweitschriften, Porto und der gesetzlichen Mehrwertsteuer nur die angewiesenen Beträge erstattungsfähig seien.
3 Dagegen hat der Erinnerungsführer am 20.11.2019 Erinnerung eingelegt. Die Kürzung der Honorargruppe von M 3 auf M 2 sei nicht haltbar. Das JVEG sehe die Honorargruppe M 3 für Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad vor. Der hohe Schwierigkeitsgrad sei in der Rechnung ausdrücklich begründet und auf die entsprechenden Passagen im Gutachten hingewiesen worden. Ein Kostenvoranschlag sei auf Basis der Honorargruppe M 3 erstellt worden.
4 Der Erinnerungsführer beantragt, die Vergütung für das Gutachten vom 14.10.2019 auf 3.123,26 Euro und für das testpsychologische Zusatzgutachten auf 755,89 Euro festzusetzen.
5–6 Die Erinnerungsgegnerin führt aus, dass das Gutachten zutreffend der Honorargruppe M 2 zugeordnet worden sei. ...
II.
7 Zuständig für die Entscheidung ist nach § 4 Abs. 7 S. 1 JVEG und dem Geschäftsverteilungsplan des Thüringer LSG in Verbindung mit dem Geschäftsverteilungsplan des 1. Senats der Berichterstatter.
8 Auf die nach § 4 Abs. 1 JVEG zulässige Erinnerung wird die Entschädigung für das Gutachten vom 14.10.2019 auf 2.379,51 EUR und für das testpsychologische Zusatzgutachten auf 577,39 Euro festgesetzt.
9 Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den UdG oder den Antrag der Beteiligten gebunden; es kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist.
10 Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung
1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG),
2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG),
3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie
4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG).
11 Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich waren (Satz 2 Halbs. 1).
12 Die erforderliche Zeit ist nach einem abstrakten Maßstab zu ermitteln, der sich an dem erforderlichen Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität orientiert. Nach pflichtgemäßem Ermessen hat das Gericht nachzuprüfen, ob der Zeitansatz erforderlich war (vgl. BVerfG vom 26.7.2007 - 1 BvR 55/07; BGH vom 16.12.2003 - X ZR 206/98; ThürLSG vom 5.3.2012 - L 6 SF 1854/11 B und 21.12.2006 - L 6 B 22/06 SF; Hartmann/Toussaint in Kostenrecht, 50. Auflage 2020, § 8 JVEG Rn. 39). Zu berücksichtigen sind die Schwierigkeiten der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung der Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang des Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache (vgl. BGH vom 16.12.2003 - X ZR 206/98). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind, wenn sich diese in einem gewissen Toleranzbereich bewegen (vgl. Senatsbeschluss vom 14.2.2018 - L 1 JVEG 1189/16; ThürLSG vom 13.8.2013 - L 6 SF 266/13 E). Die Toleranzgrenze beträgt 15 v. H. Werden die üblichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15 v. H. überschritten, ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen durchzuführen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14.2.2018 - L 1 JVEG 1189/16 und 21.3.2019 - L 1 JVEG 1072/18).
13 Hinsichtlich der für die Gutachtenerstellung angegebenen Zeit sind keine Bedenken seitens des Senats ersichtlich. Insoweit ist von einem Stundenansatz von insgesamt 25 Stunden für das Hauptgutachten und 6 Stunden für das Zusatzgutachten auszugehen. Die Vergütung erfolgt in der Honorargruppe M 2 (75,00 Euro). Sie wird wie folgt definiert: Beschreibende (Ist-Zustand) Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, zum Beispiel Gutachten in Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz oder zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zur Invalidität. Die Honorargruppe M 3 erfordert dagegen Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad. Als Beispiel nennt die Anlage 1 zu § 9 JVEG Begutachtungen spezieller Kausalitätszusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilungen der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen und führt 17 Beispielsfälle auf.
14 In der Honorargruppe M2 werden die typischen in der Sozialgerichtsbarkeit eingeholten Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit vergütet (vgl. Senatsbeschluss vom 17.5.2018 - L 1 JVEG 434/16). Nach dem Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 22.9.2004 (L 12 RJ 3686/04 KO-A) erfordern Gutachten der Gruppe M 3 umfassende und vielseitige bzw. vielschichtige Überlegungen; die Schwierigkeiten können mit den diagnostischen oder ätiologischen Fragen zusammenhängen (vgl. u.a. ThürLSG vom 15.3.2010 - L 6 B 209/09 SF und vom 3.11.2008 - L 6 SF 48/08). Auch andere Gründe sind denkbar, z. B. eine Vielzahl unklarer oder widerspruchsvoller Befunde oder anamnestischer Angaben. Es genügt nicht, wenn - wie in den meisten Gutachten erforderlich - differentialdiagnostische Überlegungen angestellt werden, sie müssen einen hohen Schwierigkeitsgrad haben (vgl. Keller „Die Liquidation von Schmerzgutachten“ in Egle/Kappis/Schairer/Stadtland <Hrs.>, Begutachtung von Schmerzen, 1. Auflage 2014, S. 175, 179). Dafür besteht hier kein ausreichender Anhalt. Ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Feststellung einer Erwerbsminderung im Sinne von § 43 SGB VI ist grundsätzlich der Honorargruppe M 2 zuzuordnen. Vor dem Hintergrund des Begriffs der verminderten Erwerbsfähigkeit (§ 43 SGB VI) ist - ausgehend von festgestellten medizinischen Diagnosen - eine Feststellung und Beurteilung des qualitativen und quantitativen Leistungsvermögens des jeweiligen Klägers vorzunehmen. Über die Feststellung des Gesundheitszustands hinausgehende Fragen des Kausalzusammenhangs zwischen den einzelnen festgestellten Gesundheitsstörungen und schädigenden Ereignissen oder Einwirkungen, die typisierend Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad begründen können, sind dagegen nicht zu erörtern. Die Ätiologie der Gesundheitsstörungen bzw. deren trennscharfe Abgrenzung ist rentenrechtlich nicht bedeutsam. Maßgeblich sind vorrangig die mit der Gesundheitsstörung einhergehenden Funktionseinschränkungen, d. h. die Beurteilung der Auswirkungen der Gesundheitsstörung auf das berufliche Leistungsvermögen.
15 Dem Gutachten des Erinnerungsführers lässt sich nichts für das Vorliegen eines Ausnahmefalls entnehmen. Sein Gutachten umfasst 58 Seiten. Am Ende des Gutachtens erfolgt eine Einordnung der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet und deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit. Ab Seite 35 werden die verschiedenen Diagnosen diskutiert. Ihre Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin werden ab Seite 50 unten erörtert. Dem kann nicht entnommen werden, dass durch den Sachverständigen äußerst umfangreiche bzw. komplexe differenzialdiagnostische Erwägungen angestellt werden mussten. Allein die Benennung und Prüfung z. B. von einschlägigen Leitlinien oder der Kriterien, die für die Bejahung von Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet im Gutachten abzuprüfen sind, begründet nicht die Annahme eines hohen Schwierigkeitsgrades. Der Sachverständige ist immer gehalten, sein Gutachten auf der Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes unter Berücksichtigung der jeweiligen Leitlinien, Fachbücher und Standardwerke zu erstellen. Anhaltspunkte für eine vertiefende Diskussion und Würdigung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes sind nicht vorhanden. Allein der mehrfach im Gutachten enthaltene Hinweis auf differenzialdiagnostische Schwierigkeiten bei der Abgrenzung bzw. Diagnose psychiatrischer Erkrankungen begründet keinen derart hohen Schwierigkeitsgrad, welcher eine Einstufung in M3 rechtfertigt. Den Ausführungen im Textteil des Gutachtens kann nur entnommen werden, dass differenzialdiagnostische Erwägungen angestellt worden sind. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, dass diese derart umfangreich und schwierig waren, dass eine Gleichsetzung vom Schwierigkeitsgrad mit einer Kausalitätsbeurteilung gerechtfertigt wäre. Daher ist entgegen dem Vergütungsfestsetzungsantrag die Einstufung in die Honorargruppe M 2 vorzunehmen.
16 Unerheblich ist, dass der Erinnerungsführer in einem Kostenvoranschlag die Honorargruppe M 3 angesetzt hat und der Kostenvorschuss auf dieser Basis angefordert worden ist. Es ist anerkannt, dass eine Mitteilung des Sachverständigen, sein Gutachten werde unter Zugrundelegung eines bestimmten Stundensatzes voraussichtlich Kosten in einer bestimmten Höhe verursachen, für die spätere Bemessung seiner Entschädigung ohne Bedeutung ist (vgl. Bayer. LSG vom 14.5.2012 - L 15 SF 276/10 B E; OLG Hamburg vom 29.12.1982 - 8 W 260/82). Ein Gutachtenauftrag in Kenntnis der voraussichtlichen Kosten beinhaltet genauso wie die Mitteilung des Gerichts an den Sachverständigen, dass über einen bestimmten Höchstbetrag (ohne vorherige Mitteilung und Genehmigung durch das Gericht) nicht hinausgegangen werden dürfe, keine verbindliche Zusage einer Honorierung in oder bis zu dieser Höhe. Die Anforderung eines Kostenvoranschlags hat lediglich den Sinn und Zweck, zum einen der Klägerin eine Entscheidungsgrundlage zu liefern, ob sie ihren Antrag gemäß § 109 SGG auch in Kenntnis des Umstands aufrecht erhält, welche Kosten dies voraussichtlich verursacht und ob sie dieses Kostenrisiko eingehen will. Zum anderen wird dem Gericht eine verlässliche Grundlage für die Anforderung des Kostenvorschusses im Rahmen eines Antrags gemäß § 109 SGG gegeben, um sicherzustellen, dass bei einer möglicherweise eintretenden Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der Klägerin kein Kostenrisiko für den Staatshaushalt entsteht.
17 Der Erinnerungsführer ist zudem im Gutachtenauftrag darauf hingewiesen worden, dass sich die Vergütung nach dem JVEG richtet. Dass eine Entschädigung außerhalb des gesetzlich vorgesehen Vergütungsrahmens nicht in Betracht kommt und dass die Festsetzung der Vergütungshöhe erst nach der Erstellung des Gutachtens erfolgt, müsste dem Erinnerungsführer durch andere Gerichtsgutachten bekannt sein. Erst nach Erstellung des Gutachtens kann verlässlich dessen Schwierigkeitsgrad festgestellt werden. Dies gilt umso mehr bei einem Rentengutachten, welches grundsätzlich der Honorargruppe M 2 zuzuordnen ist und nur im Ausnahmefall bei Bejahung eines hohen Schwierigkeitsgrades der Honorargruppe M 3.
18 Zusätzlich hat der Erinnerungsführer einen Anspruch auf Erstattung seiner Auslagen.
19 Danach errechnet sich die Vergütung wie folgt: „Sachverständigenentschädigung 25 Stunden x 75 Euro 1.875,00 Euro; Schreibauslagen 77,40 Euro; 50 Zweitschriften á 0,50 Euro 25,00 Euro; 74 Zweitschriften á 0,15 Euro 11,10 Euro; Porto 11,09 Euro; 19% Mehrwertsteuer 379,92 Euro; Gesamtsumme: 2.379,51 Euro.“
20 Die Vergütung für das Zusatzgutachten errechnet sich auf 577,39 Euro (vgl. zur Höhe die Ausführungen der Urkundsbeamtin).
21–22 Das Verfahren ist gebührenfrei …
Redaktionell überarbeitete Fassung
eingereicht von P. Becker, Kassel