Diese enthält auch ein ausführliches Kapitel zum Thema Myalgische Enzephalomyelitis (oder Enzephalopathie) / Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS).
Aus gutachtlicher Sicht besonders interessant ist dabei das ausführliche kritische Sondervotum der Fachgesellschaften DKPM, DGPM, DGIM, DGPPN zu dieser Diagnose (hier redaktionell bearbeitet kurz zusammengefasst):
· Die Bezeichnung „ME/CFS“ („ME“ für Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Myalgische Enzephalomyelopathie) impliziert eine organische Erkrankung, nämlich eine Entzündung bzw. Erkrankung von Gehirn und Rückenmark. Die historisch wenig distinkt entstandene Bezeichnung „ME“ kann jedoch irreführend verstanden werden. Angesichts vielfältiger Befunde zum „Nocebo“-Effekt sollte die Bezeichnung „ME“ nicht unkritisch weitertransportiert werden.
· Moderne neuro-psycho-behaviorale Modelle zur Entstehung von belastenden Körperbeschwerden und Fatigue werden in Bezug auf CFS dagegen nicht zureichend thematisiert. Damit wird die Leitlinie in Bezug auf CFS dem Anspruch einer biopsychosozialen Medizin nicht gerecht. So ist die Ätiologie von CFS als multifaktoriell im biopsychosozialen Sinne einzustufen.
· Unstrittig ist, dass es zu PEM (post exertional malaise) nach vorheriger Anstrengung kommen kann. Allerdings ist diese, wie auch nicht erholsamer Schlaf, unzureichend spezifisch und wird z. B. auch bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom, krebsassoziierter Fatigue und anderen Erschöpfungssyndromen berichtet. Die Betonung von PEM als spezifisches Kennzeichen von bzw. als Warnzeichen für CFS ist somit irreführend.
· Formal wird darauf hingewiesen, dass der wiederholt und ohne eigene Bewertung erfolgende Bezug auf die britische NICE-Leitlinie zu ME/CFS, mit dem verschiedene Aussagen in der vorliegenden Leitlinie begründet werden, hoch problematisch ist, da es Hinweise darauf gibt, dass in dieser Leitlinie Evidenz fehlerhaft evaluiert und einseitig bewertet wurde.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden