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Begutachtung zur Verordnung von Hörgeräten

HNO-ärztliche Gutachten zur Verordnung von speziellen (teuren) Hörgeräten sind für die Betroffenen und die Kostenträger oft von großer Bedeutung, erklärte Ulrich Hoppe von der Hals-Nasen-Ohrenklinik, Abteilung Audiologie, am Universitätsklinikum Erlangen auf dem 13. HNO-Update-Seminar am 22. und 23. November 2019 in Mainz.

Die Indikationsstellung für Hörgeräte beruht auf einer umfassenden HNO-ärztlichen Untersuchung und beinhaltet unter anderem auch die Bereitschaft und Fähigkeit des Betroffenen, ein Hörgerät zu tragen. Audiologische Kenndaten sind also nicht allein entscheidend, spielen aber eine besonders wichtige Rolle bei der Indikationsstellung von Hörgeräteversorgungen.

Die audiologische Indikation für Hörgeräte wird in Deutschland zunächst durch das Ton- und Sprachaudiogramm vorgegeben und kann auf jedes Ohr separat angewandt werden: Ein Hörgerät ist audiologisch für ein Ohr indiziert, wenn die Hörschwelle bei mindestens einer der Frequenzen 0,5 kHz, 1 kHz, 2 kHz oder 4 kHz bei 30 dB liegt oder schlechter ist und das Einsilber-Verstehen (mit Kopfhörer) bei 65 dB bei ≤ 80 % liegt.

Bereits allein mit dem sprachaudiometrischen Kriterium lässt sich jedoch mit hoher Genauigkeit eine Indikation stellen. Das heißt, dass bei einem Einsilber-Verstehen von 80 % oder weniger die Tonhörschwelle fast immer bei mindestens einer der vier genannten Frequenzen bei 30 dB oder höher liegt. Für die Praxis ist also das Einsilber-Verstehen mit Kopfhörer bei 65 dB die relevante Größe, so Hoppe.

Innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird die Indikationsstellung für Hörgeräte durch die Hilfsmittelrichtlinie [1] vorgegeben. Diese wurde in den vergangenen Jahren mehrmals verändert. Zuletzt wurden hierzu 2018 drei wichtige Neuerungen eingeführt:

  • Als Versorgungsziel (§ 19) wird nun auch explizit genannt: „Durch eine beidohrige Versorgung, soweit möglich, auch das räumliche Hören zu verbessern“.
  • In § 19 (c) wird ausgeführt, dass „weitere spezifische Bedarfe“ zu berücksichtigen sind, „wenn dadurch ein erheblicher Gebrauchsvorteil erreicht werden kann“.
  • Übertragungsanlagen (z. B. FM-Systeme) sind nun „altersunabhängig“ verordnungsfähig, „wenn trotz bestmöglicher Hörgeräteanpassung im gesamten täglichen Leben kein ausreichendes Sprachverstehen erreicht wird.“ Bei peripherer Normalhörigkeit können Übertragungsanlagen bei Erwachsenen aufgrund einer auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung verordnet werden. Die Diagnose kann „auch durch einen Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde“ erfolgen.
  • Die Notwendigkeit für die Verordnung von Hörgeräten ergibt sich nun nicht allein aus der Diagnose, sondern vielmehr aus der Gesamtbetrachtung der funktionellen Schädigungen und individuellen Beeinträchtigungen. Ferner sind die aktuellen zur Verfügung stehenden Technologien zu berücksichtigen.

    Regelmäßig kommt es jedoch zu Rechtsstreitigkeiten zwischen gesetzlich Versicherten und den Krankenkassen. Häufig geht es um die Frage, ob die Mehrkosten für spezielle Hörgeräteeigenschaften durch die gesetzliche Krankenversicherung zu übernehmen sind.

    Die Sozialgerichte sehen die Krankenkassen zunehmend mehr in der Pflicht, auch individuelle Bedarfe der Hörbehinderten zu berücksichtigen und den Behinderungsausgleich zu finanzieren, wenn dadurch ein „erheblicher Gebrauchsvorteil“ für den Betroffenen entsteht. Hierbei muss zwar das Wirtschaftlichkeitsgebot beachtet werden. In diesem Kontext bedeutet dies jedoch lediglich, dass jeweils die günstigste Lösung zu finden ist, so Hoppe.

    Für die Hörgeräteversorgung haben die Krankenkassen angenommen, dass mit einem Festbetrag von ca. 730 Euro pro Hörgerät eine suffiziente Hörgeräteversorgung möglich ist. Da unser Sozialrecht jedoch individuelle Prüfungen vorsieht, kann es immer wieder vorkommen, dass auch höhere Zuzahlungen von den Kostenträgern übernommen werden müssen.

    In diesen Fällen ist dann durch Experten – häufig gutachtlich tätige HNO-Ärzte – zu beurteilen, ob mit dem teureren Gerät ein erheblicher Gebrauchsvorteil gegenüber dem günstigeren Gerät erreicht wird. Da aber keine eindeutigen Vorschriften existieren, wie der Gebrauchsvorteil gemessen werden kann, kommt dem jeweiligen Gutachten eine entscheidende Rolle zu, führte Hoppe aus.

    Er berichtete über eine umfassende Analyse von Frau Lottner aus der eigenen Erlanger Arbeitsgruppe, die 97 sozialgerichtliche Urteile zum Thema Hörgerät analysiert hat [2]. Dabei zeigte sich ein sehr heterogenes Bild: Der von den Krankenkassen zuletzt 2013 festgelegte Festbetrag von 733 bzw. 587 Euro je Gerät ist, laut Lottner, rechtlich umstritten und reicht in vielen Fällen nicht aus, die ­individuellen Ansprüche der Betroffenen zu befriedigen. Entsprechend fielen von den untersuchten Urteilen 63 % positiv für die Betroffenen aus. Allerdings dauerten die Verfahren vier Monate bis über zehn Jahre.

    Literatur

    1 Gemeinsamer Bundesausschuss Hilfsmittelrichtlinie von 2019 veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 12.09.2019 B4) https://www.g-ba.de/downloads/62-4921922/HilfsM-RL_2017-07-20_iK_2019-0…, aufgerufen am 1.10.2019

    2 Lottner A, Iro H, Schützenberger A, Hoppe U: Hörgeräteversorgung – Kann die Begrenzung der Leistungspflicht der Krankenkassen durch Festbeträge bei medizinischer Indikation erfolgreich vor den Sozialgerichten angefochten werden? Laryngo-Rhino-Otologie doi: 10. 1055/a-0964-8969. [Epub ahead of print]

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden