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Fehlender Hinweis auf einen kontrollbedürftigen Befund ist ein Befunderhebungsfehler

Der für die Auswertung eines Befundes verantwortliche Arzt hat all die Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum Anlass für die gebotenen Maßnahmen zu nehmen, die er aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs unter Berücksichtigung der in seinem Fachbereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten sowie der Behandlungssituation feststellen muss, erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 26.5.2020 (AZ: VI ZR 213/19), über welches die Fachzeitschrift „Versicherungsrecht“ berichtet.

Diese Pflicht besteht erst recht dann, wenn, wie bei einem Mammographie-Screening, Zweck der Untersuchung die Früherkennung einer Krebserkrankung ist und es sich um eine im Rahmen der Anamnese nachgefragte und angegebene Auffälligkeit (hier: Mamillenretraktion) handelt, die auf eben eine solche Krebserkrankung hindeuten kann. Fehlt es an dem Hinweis, dass ein kontrollbedürftiger Befund vorliegt und dass Maßnahmen zur weiteren Abklärung medizinisch geboten sind, liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit regelmäßig in der unterbliebenen Befunderhebung, so die amtlichen Leitsätze.

Zu beurteilen war folgender Fall:

  • Bei einem Mammographie-Screening am 17. April 2012 hatte die Klägerin in der Anamnese angegeben, die Mamille rechts sei seit ca. einem Jahr leicht eingezogen. Die Mammographie wurde mit BIRADS 1 (Normalbefund) bewertet und der Klägerin wurde mit Schreiben vom 24. April 2012 mitgeteilt, es seien keine Auffälligkeiten festgestellt worden.
  • Ende April 2014 stellte sich die Klägerin dann bei einem Frauenarzt wegen einer zunehmenden Einziehung der rechten Mamille nebst „Delligkeit“ vor. Die folgenden Untersuchungen führten zur Diagnose von Brustkrebs. Es wurden ein invasives Karzinom und ein begleitendes lobuläres Karzinom entfernt sowie eine Sentinel-Lymphonodektomie und eine Axilladissektion vorgenommen; in zwei der entnommenen Lymphknoten wurden Metastasen festgestellt. Verdächtiges Gewebe wurde daraufhin nachreseziert; es folgten Bestrahlungen und eine Chemotherapie.
  • Die Klägerin machte daraufhin geltend, das Mammographie-Screening sei fehlerhaft bewertet worden und erforderliche weitere Befunderhebungen seien unterlassen worden. Bei korrektem Vorgehen wäre der Brustkrebs in einem Stadium entdeckt und behandelt worden, in dem noch keine Lymphknoten befallen gewesen wären. Einer Chemotherapie hätte es dann nicht bedurft und die Anzahl der Bestrahlungen wäre geringer gewesen.
  • Das zunächst zuständige Landgericht verurteilte die beklagten Radiologen zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 10.000 € und zum Ersatz des materiellen Schadens in Höhe von 773,14 € zuzüglich Nebenkosten; weiter stellte es die Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden fest. Die anschließende Berufung der Beklagten wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen.
  • Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision beim BGH verfolgten die beklagten Radiologen das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.
  • Die Beurteilung des Berufungsgerichts, es liege ein Behandlungsfehler (konkret: ein Befunderhebungsfehler) im Zusammenhang mit dem Mammographie-Screening vom 17. April 2012 vor, weil die Radiologen es unterlassen haben, der Klägerin weitere Untersuchungen zur Abklärung der von ihr geschilderten Mamillenretraktion anzuraten, ist revisionsrechtlich jedoch nicht zu beanstanden, erklärte der BGH:

    Die Radiologen waren zur ordnungsgemäßen Durchführung des Mammographie-Screenings und zur sorgfältigen Befundung unter Einbeziehung der im Rahmen der Anamnese gewonnenen Erkenntnisse verpflichtet gewesen. Es entsprach nicht der ärztlichen Sorgfaltspflicht, dass sie im Hinblick auf die im Rahmen der Anamnese mitgeteilte Mamillenretraktion nichts weiter unternahmen und der Klägerin mit Schreiben vom 24. April 2012 mitteilten, es seien keine Auffälligkeiten festgestellt worden.

    Ein Arzt muss bei einer Beobachtung, die er im Rahmen seiner Untersuchung macht und die auf eine ernst zu nehmende Erkrankung hinweisen kann, auf eine rasche diagnostische Abklärung hinwirken, um vermeidbare Schädigungen des Patienten auszuschließen, führten die Karlsruher Richter aus (unter Bezug auf ein vorheriges BGH-Urteil vom 14. Juli 1992, AZ: VI ZR 214/91). Er darf Auffälligkeiten, die ihm zur Kenntnis gelangen, nicht einfach übergehen.

    Die Pflicht des Arztes, Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum Anlass für die gebotenen Maßnahmen zu nehmen, besteht erst recht dann, wenn – wie vorliegend – Zweck der Untersuchung die Früherkennung einer Krebserkrankung ist und es sich um eine im Rahmen der Anamnese nachgefragte und angegebene Auffälligkeit handelt, die auf eben eine solche Krebserkrankung hindeuten kann.

    Nach den (von der Revision nicht angegriffenen) Feststellungen des Berufungsgerichts musste das Erfordernis weiterer Abklärung der Mamillenretraktion im kurativen Bereich – auch bei unauffälligen Mammographieaufnahmen – allen bekannt sein, die sich mit dem Bereich der Mammadiagnostik beschäftigen, d.h. sowohl Gynäkologen als auch Radiologen und damit auch den Beklagten, argumentierte der BGH.

    (Versicherungsrecht 71 (2020) 16: 1052–1055)

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden