Haben Polizisten oder auch professionelle Rettungskräfte (wie Notärzte, Notfallsanitäter oder Feuerwehrleute) Anspruch auf Haftung des Schädigers, wenn sie im Einsatz, ggf. neben körperlichen Verletzungen, eine psychische Gesundheitsverletzung erleiden und anschließend etwa wegen einer Phobie dienstunfähig werden?
Ja, erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) zu dieser – nach eigenen Angaben in Rechtsprechung und Literatur bisher umstrittenen – Frage mit Urteil vom 8.12.2020 (AZ: VI ZR 19/20), über welches die Fachzeitschrift „Versicherungsrecht“ berichtet (1).
Hier der amtliche Leitsatz des Urteils:
„Das Risiko einer psychischen Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft ist bei der gebotenen wertenden Betrachtung jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos dem Schädiger zuzuordnen. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten, gebietet eine solche Vorbereitung und etwaige Stärkung ihrer Psyche regelmäßig nicht, ihnen beim dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Erkrankung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen.“
Zugrunde lag folgender Fall:
Ein Polizeibeamter war mit seinen Kollegen wegen einer tätlichen Auseinandersetzung in einer Bar gerufen worden. Bei dem Versuch, einen daran beteiligten stark alkoholisierten aggressiven Achtzehnjährigen in Gewahrsam zu nehmen, hatte sich dieser heftig zu Wehr gesetzt, den Polizisten beschimpft und verletzt; dieser hatte eine Distorsion des rechten Daumens mit Zerrung des Seitenbandes und eine Partialruptur des Kapselapparats am Daumengrundgelenk erlitten.
In der Folge war es zu einer spezifischen Phobie des Polizeibeamten gekommen, weswegen er dienstunfähig geworden war. Das klagende Land (als Versorgungsträger) hatte daraufhin u.a. Schadensersatz für Behandlungskosten und Dienstausfall von dem Achtzehnjährigen, dem sog. Schädiger, gefordert.
Diese Klage war jedoch in 2. Instanz vom Oberlandesgericht (OLG) ganz überwiegend abgewiesen worden mit der Argumentation, dass sich hier das Risiko für eine Beeinträchtigung verwirklicht habe, welches der Polizeibeamte schon mit seiner Berufswahl eingegangen sei. Die Revision des Landes beim BGH gegen dieses Urteil führte aber zu dessen Aufhebung und Zurückverweisung.
Rechtsfehlerhaft ist, so der BGH, die Annahme des OLG, ein Anspruch sei deshalb zu verneinen, weil es an dem für eine Haftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen den Handlungen des beklagten Achtzehnjährigen und der geltend gemachten Gesundheitsverletzung fehle, da sich in der Erkrankung des Polizeibeamten lediglich ein spezifisches Berufsrisiko verwirklicht habe.
Bei ausgebildeten, vorbereiteten und trainierten Einsatzkräften wird regelmäßig die Verletzungsgefahr im Vergleich zu Laien verringert oder eine Traumafolgestörung durch eine starke oder gestärkte Psyche verhindert. Wenn dies dann trotz aller professionellen Aufrüstung im Einzelfall nicht gelingt, weil das Erlebnis für die individuelle körperliche oder psychische Verfassung der Einsatzkraft zu belastend ist, rechtfertigt dies keine Risikoverlagerung auf den Geschädigten, argumentierten die Karlsruher Richter.
Diese Entscheidung wurde in der Folge mehrfach in der Fachzeitschrift „Versicherungsrecht“ ausführlich kommentiert:
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden
Literatur
1 NN (2021). Versicherungsrecht 5, 328-332
2 Luckey, J. (2021). Zurechnung der psychischen Beeinträchtigung eines Polizeibeamten bei der Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos. Versicherungsrecht 7, 464-466
3 Rapp, J. (2021). Deliktische Haftung für „berufstypische“ psychische Gesundheitsverletzungen. Versicherungsrecht 10, 618-626
4 Vogeler, M. (2021). Haftung für spezifische Berufsrisiken: Wie weit geht der Schutz des Deliktrechts? Versicherungsrecht 12, 753-759