Die Beurteilung des Karpaltunnelsyndroms (CTS) als Berufskrankheit (BK 2113) bereitet nicht selten Probleme, da in der wissenschaftlichen Begründung klare Aussagen zur typischen Expositionsdauer vor Auftreten des Karpaltunnelsyndroms fehlen, berichten Christofer Schröder von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Abt. Arbeitsmedizin, Gefahrstoffe und Gesundheitswissenschaften, Hamburg, und Mitarbeiter in der Fachzeitschrift „Arbeitsmedizin / Sozialmedizin / Umweltmedizin“ (Ausgabe 5/2020).
Als arbeitstechnische Voraussetzungen, die bei der Feststellung des beruflich bedingten CTS zutreffen müssen, gelten repetitive manuelle Tätigkeiten mit Beugung und Streckung der Hände im Handgelenk, erhöhter Kraftaufwand der Hände (kraftvolles Greifen) oder Einwirkung von Hand-Arm-Schwingungen, beispielsweise durch handgehaltene vibrierende Maschinen. Das berufsbedingte Erkrankungsrisiko erhöht sich, wenn zwei oder mehrere Faktoren zusammen auftreten.
Über die Expositionsdauer bis zum Auftreten der Erkrankung liegen in der Literatur unterschiedliche Angaben vor. In der wissenschaftlichen Begründung für die BK 2113 wird beschrieben, dass ein Kausalzusammenhang plausibel sei, wenn der Erkrankungsbeginn im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition stehe. Aufgrund dieser Darstellung kommt es in Feststellungsverfahren zur BK 2113 zu Unsicherheiten bei der Beurteilung eines Ursachenzusammenhangs zwischen Dauer der Exposition und Auftreten von CTS.So lehnen einzelne Sachverständige insbesondere dann einen Ursachenzusammenhang ab, wenn langjährig exponierte Beschäftigte betroffen sind.
Zur Klärung dieser Frage führten die Autoren ein Literaturreview zur Expositionsdauer bei CTS durch und werteten 137 Berufskrankheits-Akten zur Beschreibung der Expositionsdauer von Versicherten mit Verdachtsanzeige auf CTS als Berufskrankheit aus den Jahren 2006 bis 2017 aus.
Auf Basis der neun eingeschlossenen Studien – die allerdings sehr heterogen hinsichtlich Studiendesign und Fragestellung waren – kann keine sichere Aussage zum Zusammenhang zwischen Expositionsdauer und CTS gemacht werden. Die Expositionsdauer in den BK-Fällen war überwiegend lang; nur in wenigen Fällen trat ein CTS nach weniger als fünf Expositionsjahren auf.
Zusammenfassend ergibt sich, dass eine empirisch begründete Aussage zum zeitlichen Zusammenhang zwischen Expositionsdauer und CTS-Auftreten nicht möglich ist. Insbesondere scheint es nicht gerechtfertigt, eine langjährige Exposition als Indiz gegen eine berufliche Verursachung des CTS anzusehen. Angaben zur Latenz zwischen Expositionsende und CTS-Diagnose wurden nicht gefunden.
Für das zukünftige Berufskrankheiten-Anerkennungsverfahren wäre es daher hilfreich, im Rahmen einer Expertenkonvention zu klären, wie unter versicherungsrechtlichen Gesichtspunkten die Zeitdauer zwischen Ende der Exposition und dem Auftreten eines CTS sein darf, erklären die Autoren abschließend.
(Der Beitrag ist kostenlos über Open Access einsehbar unter: https://www.asu-arbeitsmedizin.com/wissenschaft/ein-review-mit-auswertung-von-bk-akten-karpaltunnelsyndrom-als-berufskrankheit
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden