Onkologie-Update-Seminar, Mainz, 7. und 8. Februar 2020
Nach einer Krebstherapie treten oft Spätfolgen auf; sowohl durch die bösartige Erkrankung selbst als auch durch die Behandlung. Nicht selten sind posttherapeutische kognitive Beeinträchtigungen sowie Fatigue, eine abnorme Erschöpfungs-Symptomatik („Cancer Related Fatigue“, CRF).
Bei beiden Beschwerdebildern sind die Ursachen weitgehend unklar und es stehen keine nachgewiesen wirksamen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Während die Beurteilung organischer Spätfolgen bei Krebs – etwa hinsichtlich der weiteren beruflichen Leistungsfähigkeit – in der Regel keine wesentlichen Probleme bereitet, ist die Begutachtung kognitiver Beeinträchtigungen oder von Fatigue oft schwierig, zumal es hierfür kaum objektive Untersuchungsmethoden gibt.
Unter diesem Aspekt waren zwei Vorträge auf dem diesjährigen Onkologie-Update-Seminar interessant, in welchen neue Erkenntnisse (auch) zu diesen Beschwerdebildern präsentiert wurden.
„Chemobrain“: Kognitive Beeinträchtigung von Tumorpatienten
Die kognitive Beeinträchtigung von Tumorpatienten ist nicht allein auf die Gabe von Chemotherapien (sog. „Chemobrain“) zurückzuführen, berichtete Karin Jordan von der Medizinischen Klinik V – Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie – am Universitätsklinikum Heidelberg. So können der Tumor selbst, aber auch Hormontherapien und zielgerichtete Therapien, Operationen und Komorbiditäten zur Entstehung kognitiver Defizite beitragen.
Die Behandlung einer solchen kognitiven Beeinträchtigung ist derzeit eine Herausforderung, da es keine zielgerichteten Medikamente bzw. Interventionen gibt, die in klinischen Studien gleichbleibend positive Effekte erzielen konnten. Jordan stellte eine aktuelle Arbeit [1] vor, in welcher je verschiedene Medikamentenklassen vorgestellt und die vorhandene Evidenz zu deren Einsatz zusammengefasst werden.
Zu den Stimulantien des Zentralnervensystems zählen Methylphenidat und Modafinil. Auch Medikamente gegen Demenz, wie Donezepil, Memantin und Ginkgo biloba, wurden und werden in klinischen Studien auf Wirksamkeit überprüft. In naher Zukunft werden Studienergebnisse zu den potentiell neuroprotektiven Medikamente Fluoxetin, Docosahexaensäure, Ibuprofen und Nikotin für Patienten unter systemischer Tumortherapie erwartet.
Bislang fehlt es an wissenschaftlicher Evidenz, um bestimmte Substanzen in diesem Setting zu empfehlen. Erfolgversprechend scheint aber der Einsatz von Stimulantien des zentralen Nervensystems (Modafenil und Methylphenidat) und von Antidementiva.
Fatigue bei Morbus Hodgkin nicht durch die Therapie verursacht
In einer Situation, in der die meisten der in der Regel jungen Hodgkin-Patienten geheilt werden, tritt die Lebensqualität nach der erfolgreichen Therapie in den Vordergrund, erklärte Peter Borchmann von der Klinik I für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln.
Es ist bereits lange bekannt, dass einige Patienten auch langfristig sehr durch eine Fatigue-Symptomatik belastet sind. Hier wird oft von einer Therapiefolge gesprochen, obwohl es dafür keinen wissenschaftlich belegten Anhalt gibt; die Annahme erscheint jedoch spontan logisch.
Die Deutsche Hodgkin Studiengruppe (German Hodgkin Study Group – GHSG) hat deshalb diese Frage systematisch untersucht und 2016 erstmalig publiziert [2]. Patienten aus den prospektiv randomisierten Erstlinientherapiestudien HD13, HD14, und HD15 wurden vor, während und bis fünf Jahre nach der Therapie regelmäßig befragt. 5.306 Patienten wurden insgesamt in die drei Studien eingeschlossen, von den 4.215 in die Analyse mit ausreichenden Daten eingeschlossen werden konnten.
Die Ergebnisse waren erstaunlich: Prädiktoren der persistierenden schweren Fatigue waren demnach interessanterweise Fatigue vor Einleitung der Therapie und – in einem wesentlich geringeren Ausmaß – das Alter. Insgesamt zeigt diese Arbeit keinerlei Einfluss der Therapieintensität auf die Persistenz von Fatigue bei den Patienten, trotz sehr großer Unterschiede in der Intensität. Im Gegenteil haben Patienten in fortgeschrittenen Stadien von der Therapie häufig in Bezug auf die Fatigue profitiert, was in frühen Stadien weniger häufig zu sehen war.
Die Frage, ob persistierende Fatigue durch die Therapie verursacht wird, kann demnach klar verneint werden, kommentierte Borchmann diese Ergebnisse. Im Gegenteil profitieren viele der Hodgkin-Patienten von der Therapie in Bezug auf die Fatigue, die ja häufig schon vor der Therapie besteht und mit der Tumormasse assoziiert ist. Daher kommt dieses Ergebnis auch nicht überraschend. Es scheint, als wäre der wichtigste Faktor für die Persistenz der Fatigue eine Fatigue bereits vor Therapiebeginn.
Unklar ist aber weiterhin, warum manche Patienten nach der Diagnose des Hodgkin-Lymphoms eine ausgeprägte Fatigue-Symptomatik haben und andere nicht.
Die GHSG hat auch den Einfluss der schweren Fatigue auf die soziale Reintegration untersucht [3]. Die Patientenpopulation für diese Studie entspricht der oben bereits beschriebenen (HD13–15); 4.529 Patienten konnten hierfür ausgewertet werden. Dabei wurden Patienten mit einer schweren Fatigue von den Patienten mit minder schwerer oder ohne Fatigue unterschieden. Dies waren 20 % bis 24 % während des 5-Jahres-Follow-ups.
Es fand sich eine hochsignifikante und relevante negative Korrelation von schwerer Fatigue zur Beschäftigungssituation: 51 % der Frauen und 63 % der Männer mit schwerer Fatigue waren beschäftigt, verglichen 78 % bzw. 90 % ohne schwere Fatigue (p < 0,001; adjustiert für Alter, Geschlecht, Stadium, Beschäftigungsverhältnis vor Therapie und Therapieergebnis). Sie hatten auch häufiger finanzielle Probleme und mehr Arztkontakte.
Insgesamt leidet demnach knapp ein Viertel der Hodgkin-Patienten dauerhaft, also mindestens fünf Jahre, an schwerer Fatigue, was offenbar ein wichtiges Problem darstellt, fasste Borchmann diese Ergebnisse zusammen. Eine persistierende schwere Fatigue ist offenbar ein wesentlicher Faktor, der den Patienten – trotz Heilung des Lymphoms – den Weg zurück in ein normales Leben massiv erschwert.
Die GHSG hat 2018 die erste Interventionsstudie für Patienten mit schwerer, persistierender Fatigue (bei Brustkrebs) geöffnet. Dies geschieht in Kooperation mit Anja Mehnert (Uniklinik Leipzig, Leiterin der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie) und mit Unterstützung durch Hans Knoop (Amsterdam, Niederlande), der eine spezifische Verhaltenstherapie für Krebs-assoziierte Fatigue entwickelt hat [4], berichtete Borchmann abschließend.
Literatur
1 Karschnia P, Parsons MW, Dietrich J.: Pharmacologic management of cognitive impairment induced by cancer therapy. Lancet Oncol (2019), 20: e92–e102
2 Kreissl S, Mueller H, Goergen H et al.: Cancer-related fatigue in patients with
and survivors of Hodgkin‘s lymphoma: A longitudinal study of the German Hodgkin Study Group. Lancet Oncol. (2016), 17 (10): 1453–1462. 79
3 Behringer K, Goergen H, Muller H et al.: Cancer-related fatigue in patients with and survivors of Hodgkin lymphoma: The impact on treatment outcome and social reintegration. J Clin Oncol. (2016), 34 (36): 4329–4337
4 Abrahams HJG, Gielissen MFM, Donders RRT et al.: The efficacy of Internet-based cognitive behavioral therapy for severely fatigued survivors of breast cancer compared with care as usual: A randomized controlled trial. Cancer. (2017), 123 (19): 3825–3834
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden