Immer mehr hochbetagte Patienten lassen sich an Wirbelsäule und Gelenken operieren, um auch im fortgeschrittenen Alter schmerzfrei ihr Leben genießen zu können. Faktoren wie ein herabgesetzter Stoffwechsel, Anämie, Muskelschwund und Polypharmazie erhöhen jedoch das Risiko für über 80-Jährige, beim Einsatz einer Endoprothese einen Herzinfarkt oder eine Lungenentzündung zu erleiden. Mit den richtigen Maßnahmen vor und nach dem Eingriff lassen sich jedoch Komplikationen und Sterblichkeit stark senken, erläuterten Experten auf dem 136. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) vom 26. bis 29. März 2019 in München.
Nach dem Krankenhausreport der Barmer Ersatzkasse aus dem Jahr 2017 ist die Anzahl der Klinikpatienten, die älter als 70 Jahre sind, im Zeitraum von 2006 bis 2015 um 80 Prozent gestiegen – aufgrund des demographischen Wandels rechnen Experten mit einem weiteren deutlichen Zuwachs in den nächsten 20 Jahren. „Heute entscheiden sich insbesondere auch über 80-jährige Patienten immer häufiger für den Einsatz eines neuen Hüft- oder Kniegelenks oder einen Eingriff am Rücken, um mobil zu bleiben“, berichtete Matthias Anthuber, Präsident der DGCH und Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie sowie Leiter des Transplantationszentrums am Klinikum Augsburg.
Doch eine Operation im höheren Alter birgt besondere Risiken. „Patienten, die über 80 Jahre alt sind und sich erstmals ein neues Hüft- oder Kniegelenk einsetzen lassen, haben eine dreifach erhöhte Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt im Zusammenhang mit dem Eingriff zu erleiden“, erläuterte Dieter Christian Wirtz, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) und Direktor der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Bonn. „Auch die Gefahr, eine Lungenentzündung zu entwickeln, ist um den Faktor 3,5 gesteigert.“ Aufgrund dieser Komplikationen liegen die Klinikkosten beispielsweise bei über 85-Jährigen 4,8-fach so hoch wie der Durchschnitt.
Um diese Komplikationen zu vermeiden, raten die Experten zu einem „Blood-Management“ vor dem Eingriff. „Wir testen dafür den Hämoglobin-Wert“, so Wirtz. Bei einem Wert unter 12 mg % liegt eine Anämie vor. In diesem Fall erhalten die Patienten vor der Operation Eisentabletten, um das Blutvolumen zu erhöhen. „Mit dem Ergebnis, dass die älteren Patienten dann nach dem Eingriff schneller auf den Beinen sind und vor allem weniger Transfusionen benötigen“, führte Wirtz aus. Mit einer sinkenden Transfusionsrate wiederum verringern sich Sterblichkeit und Häufigkeit von Lungenentzündungen deutlich, wie Studien belegen.
Zudem gehören alle Medikamente, die Ältere häufig zur Behandlung von verschiedenen Erkrankungen parallel einnehmen, auf den Prüfstand. „Polypharmazie kann zu unerwünschten Wechselwirkungen führen und die Narkoseführung erschweren“, stellte Wirtz fest. „Deshalb sind nicht zwingend notwendige Arzneien in Absprache mit dem Arzt vor der Operation abzusetzen.“
Darüber hinaus hilft es, ältere Patienten schon vor dem Eingriff auf die spätere Physiotherapie vorzubereiten. „Dafür eigen sich Übungen, die verdeutlichen, wie die Patienten nach der Operation am besten aus dem Bett steigen, welche Bewegungen förderlich sind, welche nicht“, erläuterte Wirtz. „Studien zeigen, dass Patienten durch eine präoperative physiotherapeutische Schulung ihre Gehfähigkeit nach dem Eingriff schneller wiedererlangen.“
Kommentar
Falls diese Behandlungsempfehlungen für Endoprothesen-Operationen alter Patienten nicht beachtet werden und es zu gravierenden Komplikationen kommt, ist ggf. aus gutachtlicher Sicht zu beurteilen, ob es sich um einen Behandlungsfehler handelt.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden