Oft bleibt aber unklar, ob die Erkrankungen zu einer instabilen Darmbarriere oder die gestörte Darmbarriere (mit) zur Erkrankung geführt hat. Vor allem beim Reizdarmsyndrom gilt die Permeabilitätsstörung als zentraler pathophysiologischer Baustein.
Spezielle medizinische Tests zur routinemäßigen Erfassung der Funktion und des Zustands der Darmbarriere sind nicht etabliert. Da viele Störungen an der Darmbarriere eine Entzündung hervorrufen, sollten etwa die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG, BKS) und weitere Entzündungsparameter (C-reaktives Protein, CRP) untersucht werden.
Ein im Praxisalltag nicht etablierter Blutparameter ist der Marker Zonulin: Zwar gelten hohe Zonulin-Spiegel mit Einschränkungen als Marker für entzündlich bedingtes "Leaky gut". Allerdings kann bei zunehmender Entzündung (und damit einhergehend schwerer Schädigung des Darmepithels) die Freisetzung an Zonulin reduziert sein und deshalb ein inflammationsgetriggerter Zonulinanstieg ausbleiben. Die hierfür angebotenen kommerziellen Tests und die Testergebnisse sind daher mit Vorsicht zu bewerten, erklärt Storr. Sie seien medizinisch nicht erforderlich und werden von Fachgesellschaften nicht empfohlen.
Das Leukozyten-Protein Calprotectin ist der am häufigsten untersuchte Stuhlparameter zur Detektion inflammatorisch bedingter Darmbarrierestörungen. Mikrobiologische Stuhluntersuchung weisen pathogene Keime und Parasiten nach; von darüber hinaus gehenden sogenannten intestinalen „Ökogrammen“ wird dagegen abgeraten (vgl. hierzu MedSach Heft 5/2021, S. 178 – https://www.medsach.de/berichte-informationen/behandlungskonzepte-beim-reizdarmsyndrom). Zur Abklärung chronischer Beschwerden ist – je nach Beschwerdebild – eine Endoskopie wie Ileo-Koloskopie, Rektoskopie oder Gastroskopie, ggf. mit Probenahme und histologischer Untersuchung, sinnvoll.
Bei der Therapie warnt Storr vor einer unkritischen Verordnung von Probiotika: Diese sollten leitliniengerecht und nicht pauschal eingesetzt werden. Vor einer probiotischen Behandlung sollte abgesichert werden, dass die Darmbarriere intakt ist, denn bei einer gestörten, übernorm-permeablen Barrierefunktion können Probiotika ein zusätzliches Risiko bergen und das Immunsystem beanspruchen. Geeignetes Vorgehen hierbei ist die klinische Einschätzung in Kombination mit Labor- (Blutbild, Differenzialblutbild, CRP) und Stuhldiagnostik (Calprotectin). Das sonst in der Folge entstehende Krankheitsbild wird u. a. Probiotika-Syndrom genannt.
Kommentar aus gutachtlicher Sicht
Ein „Leaky-Gut-Syndrom“ als eigenständiges, definiertes Krankheitsbild gibt es somit nicht. Das ist von Bedeutung für die Begutachtung in der privaten Krankenversicherung, da gerade von naturheilkundlich/alternativmedizinisch orientierten Ärzten sowie von Heilpraktikern diese (Pseudo-)Diagnose häufig gestellt wird. In solchen Fällen ist gutachtlich zu prüfen, welche der durchgeführten diagnostischen und/oder therapeutischen Maßnahmen tatsächlich als medizinisch notwendig anzusehen sind.
Storr, M. (2022). Patient kommt mit Selbstdiagnose „gestörte Darmbarriere“. MMW Fortschr Med., 6, 54-56.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden