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Leitlinie „Lipödem“: Diagnosestellung

Ende Januar 2024 wurde die aktuelle S2k-Leitlinie „Lipödem“ (Version 5.0 vom 22.1.2024, AWMF-Registernummer: 037-012) unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie vorgestellt. Hier Aussagen zu diesem problematischen Krankheitsbild (welches fast ausschließlich bei Frauen vorkommt) und zur Diagnosestellung, die auch aus gutachtlicher Sicht wichtig sind:

Voraussetzung für die Diagnose eines Lipödems ist das Vorliegen einer im Vergleich mit dem Stamm disproportionalen Fettgewebsvermehrung der Beine unterschiedlichen Ausmaßes, sowie seltener auch der Arme, bei gleichzeitig vorliegenden Beschwerden im Bereich dieses disproportionalen Fettgewebes.

Die Disproportionalität bei der Erkrankung Lipödem tritt immer symmetrisch an den Beinen und/oder Armen auf. Das Lipödem entsteht ausschließlich an den Extremitäten; weder Rumpf, Kopf noch Hals sind betroffen. Für die Entwicklung eines Lipödems an anderen Körperregionen, vor oder nach Liposuktion, gibt es keinerlei wissenschaftliche Evidenz.

Die Fettvermehrung kann sich homogen über Ober- und/oder Unterschenkel (sog. „Säulenbein”) bzw. Ober- und/oder Unterarm verteilen oder nur die Ober- oder Unterschenkel betreffen. Die Füße bzw. Hände sind nicht betroffen. Als typisch wird der Kalibersprung zur angrenzenden gesunden Region angesehen.

Zur Morphologie werden folgende Empfehlungen gegeben:

  • Die morphologische Ausprägung soll beschreibenden Charakter haben und soll nicht im Sinne einer Schweregradeinteilung verstanden werden.
  • Die in der Literatur bisher gebräuchliche Stadieneinteilung der Morphologie soll nicht als Maß für die Schwere der Krankheit verwendet werden. Eine Stadieneinteilung für die Beschwerden existiert bisher nicht.
  • Das in der Vergangenheit häufig verwendete Kriterium des „knotigen“ Fettgewebes soll wegen fehlender Validität nicht zur Diagnosestellung herangezogen werden.
  • Körperliche Beschwerden werden im Unterhautfettgewebe der betroffenen Extremitäten angegeben: Berührungs-, Druck- und auch Spontanschmerz sowie Spannungs- und Schweregefühl. Die Intensität der Beschwerden wird von den betroffenen Frauen sehr unterschiedlich wahrgenommen.

    Eine besondere Rolle in der Beschwerdeschilderung spielt die subjektive Wahrnehmung eines Anschwellens in den betroffenen Extremitäten im Laufe des Tages. In einer vergleichenden Untersuchung an symptomatischen Lipödem-Patientinnen und Gesunden konnte jedoch eine im Tagesverlauf wahrgenommene Schwellung nicht objektiviert werden, was zur Schlussfolgerung führt, dass das Gefühl der Umfangszunahme als Bestandteil des Schmerzerlebens interpretiert werden muss.

    Die von Lipödem-Patientinnen häufig berichtete Hämatomneigung ließ sich in einer vergleichenden klinischen Untersuchung nicht objektivieren. Eine (angebliche) Hämatomneigung kann aufgrund der Studienlage nicht als entscheidendes diagnostisches Kriterium herangezogen werden.

    Neben den Weichteilbeschwerden und der disproportionalen Fettverteilung leidet eine große Anzahl betroffener Frauen, beurteilt nach dem BMI, an Adipositas. Lediglich eine Minderheit ist normalgewichtig. Übergewicht (BMI ab 25 bis unter 30 kg/m2) und Adipositas (BMI ab 30 kg/m2) sind die häufigsten gleichzeitig neben dem Lipödem bestehenden Erkrankungen. Eine Adipositas kann ein Lipödem verschlimmern.

    Der Body-Mass-Index (BMI) zur Charakterisierung des Übergewichtes ist bei Lipödem-Patientinnen jedoch nicht aussagekräftig, da er im Bereich von Übergewicht bzw. milder Adipositas aufgrund der Extremitäten-betonten Fettgewebevermehrung zu falsch hohen Werten führt. Eine genauere Aussage zur disproportionalen Fettverteilung ermöglicht die Kombination mit dem Verhältnis zwischen Bauchumfang und Größe (Waist-to-Height Ratio – WHtR).

    Die Diagnose Lipödem soll klinisch gestellt werden, da keine richtungsweisenden apparativen und laborchemischen Verfahren vorhanden sind, welche diese Diagnose beweisen können. Zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung können jedoch apparative Untersuchungsmethoden herangezogen werden. Laborchemische Methoden zur Identifizierung eines Lipödems bzw. zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung liegen derzeit nicht vor.

    Zudem gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die psychische Gesundheit bei Lipödem-Patientinnen stärker beeinträchtigt ist als die körperliche Gesundheit. Neben der rein somatischen Symptomatik müssen beim Lipödem somit auch psychische Koinzidenzen besonders gewürdigt werden: Psychische Belastung sowie Mangel an Selbstakzeptanz bzw. Akzeptanz des eigenen Körpers. Bei der Erstvorstellung sollten daher psychische Faktoren, die beim Erleben des Krankheitsbildes eine Rolle spielen können, erfasst werden, so die entsprechende Empfehlung der Autoren.

    https://register.awmf.org/assets/guidelines/037-012l_S2k_Lipoedem_2024-01_01.pdf

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden