„Mitochondriopathie“ ist seit einigen Jahren eine häufige Diagnose im Bereich der Alternativ- bzw. Komplementärmedizin und war auch Thema auf der 47. INTERBIOLOGICA am 16. und 17. März 2024 in Wiesbaden.
Dort behauptete der Heilpraktiker Rafiq Shahin aus Siegen, Mitochondriopathien seien komplexe Krankheitsbilder. Es handele sich um eine Multisystemerkrankung mit umfangreichen körperlichen und seelischen Symptomen, Defiziten und Dysfunktionen: „Hilfe! Mein Patient scheint alle Krankheiten zu haben!“ Die Zahl der Betroffenen steige stetig; allein in Deutschland seien inzwischen mehr als 4 Millionen Menschen von unterschiedlichen Formen betroffen.
Zur Therapie propagierte die Allgemeinmedizinerin Meike Köppel aus Bergisch Gladbach zwei sich angeblich ergänzende Verfahren zur mitochondrialen Stimulation, nämlich die Haemo-Laser-Therapie sowie die Intervall Hypoxie Hyperoxie Normoxie Therapie:
Kritische Anmerkungen aus gutachtlicher Sicht
Eine Schädigung der Mitochondrien findet sich bei vielen Erkrankungen. Da diese Zellorganellen für die Bereitstellung der Energie in den Körperzellen zuständig sind, macht sich das meist durch Schwäche, Müdigkeit und ähnliche Symptome bemerkbar. Das könnte nach aktuellen Studienergebnissen auch für Beschwerden beim Post-COVID-Syndrom verantwortlich sein.
Bei echten Mitochondriopathien handelt es sich jedoch um definierte Krankheitsbilder, die entsprechend als Diagnosen (mit ICD-10-Kodierung) genannt werden müssen. Typischerweise wird jedoch der aus der wissenschaftlichen Medizin stammende Begriff „Mitochondriopathie“ häufig undifferenziert im Rahmen alternativmedizinischer Konzepte verwendet – meist aufgrund einer Labordiagnostik in externen Speziallabors.
So handelt es sich etwa beim sog. mitochondrialen bzw. bioenergetischen Gesundheitsindex (Bioenergetic Health Index, BHI) offenbar nicht um eine in der wissenschaftlichen Medizin etablierte Laboruntersuchung von eindeutiger klinischer Relevanz.
Gezielte Therapien mitochondrialer Störungen sind wegen der komplexen intrazellulären Wechselwirkungen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Behandlungen mit Haemo-Laser-Therapie und Intervall-Hypoxie-Hyperoxie-Normoxie-Therapie sind sehr kritisch zu sehen:
Bei der Haemo-Laser-Therapie wird eine Kanüle in die Ellbogenvene gesetzt. In dieser Kanüle befindet sich eine dünne Glasfaser, über die das gebündelte Licht eines angekoppelten niederenergetischen Rot- bzw. Blaulicht-Lasers in das Blutgefäß geleitet wird. Das Laserlicht wirke angeblich unmittelbar auf die einzelnen Blutbestandteile; es verbessert die Fließeigenschaften des Blutes, erhöhe die Sauerstoff-Bindungsfähigkeit und rege den Stoffwechsel, das Immunsystem sowie die Funktion der Körperzellen an. Die Haemo-Laser-Therapie beeinflusse die Mitochondrien und optimiere deren Funktion.
Tatsächlich hat Cochrane Österreich für kein einziges Gesundheitsproblem Belege für eine Wirksamkeit einer solchen Blutbestrahlung mit Laserlicht gefunden. Die meisten der hierzu gemachten Behauptungen sind offensichtlich nie wissenschaftlich untersucht worden. Unklar ist auch, über welchen Mechanismus eine Bestrahlung von Blut mit Laser die Gesundheit verbessern soll (medizin transparent 2022; https://medizin-transparent.at/haemolaser/ ).
Die Intervall-Hypoxie-Hyperoxie-Normoxie-Therapie (IHHNT), häufiger als Interval-Hypoxie-Hyperoxie-Therapie (IHHT) bezeichnet, wird als spezielles Sauerstofftraining zur Verjüngung der Mitochondrien propagiert. Bei der Behandlung sitzt oder liegt der Patient entspannt, während er über eine Maske Luft mit schwankendem Sauerstoffgehalt einatmet.
Eine klinisch relevante Wirksamkeit der IHHNT / IHHT zur Behandlung von Krankheiten ist jedoch offenbar nicht nachgewiesen. Stattdessen wären etwa körperliches Ausdauertraining, progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder ggf. auch kognitive Verhaltenstherapie natürlicher und nachweislich effektiv.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden