Sie sind wie alle Organ-Tumorboards interdisziplinär besetzt, umfassen jedoch zusätzliche Experten aus Fächern, die bisher keine unmittelbaren Patientenbezüge hatten, konkret Bioinformatik und Molekularpathologie. Molekulare Tumorboards können damit wesentlich komplexere diagnostische Informationen in eine Therapieempfehlung überführen als andere Tumorkonferenzen, nämlich umfangreiche biologische Daten. Die Technik der Genomsequenzierung ist die aktuell am weitesten fortgeschrittene molekulare Untersuchungsmethode und steht in vielen Pathologien zur Verfügung.
Die Präzisionsonkologie sollte heute als Ergänzung zu etablierten onkologischen Therapien genutzt werden. Jenseits der Standards ergeben sich zwei prinzipielle Behandlungsansätze, nämlich
1. klinische Studien und
2. Off-Label-Therapien
Bei Anmeldung in einem Zentrum für personalisierte Onkologie sollten daher alle leitliniengerechten Therapien ausgeschöpft beziehungsweise absehbar ausgeschöpft sein und der Patient sollte mindestens einer diese experimentellen Therapieoptionen grundsätzlich zustimmen. Zudem sollte – unter Berücksichtigung aktueller Prozessgeschwindigkeiten bei molekularen Tumorboards, Studieneinschlüssen oder Kostenübernahmeanträgen – die Lebenserwartung noch mindestens sechs Monate betragen.
Die „typischen“ MTB- Patienten sind also junge Patienten und/oder Patienten mit seltenen Tumorerkrankungen bzw. einem CUP-Syndrom (Krebserkrankung mit unbekanntem Primärtumor). Sowohl für seltene Tumoren als auch beim CUP wurden in prospektiven Studien Verbesserungen des progressionsfreien Überlebens unter molekular zielgerichteten Therapien gegenüber nicht molekular stratifizierten Therapien beobachtet.
Betrachtet man jedoch bisher veröffentlichte Berichte von molekularen Tumorboards, fällt auf, dass nur 3 bis 10 Prozent aller Patienten einen klinischen Nutzen davon haben, obwohl Patienten, die nach den Empfehlungen eines molekularen Tumorboards behandelt werden, in etwa 30 Prozent der Fälle von den Therapie-Empfehlungen profitieren. Offenbar erhalten nicht alle Patientinnen und Patienten eine solche Therapie, was die Frage aufwirft, warum die teure und aufwendige Diagnostik häufig ohne Konsequenz bleibt.
Ursächlich sind vor allem die eingeschränkte Umsetzbarkeit molekularer Therapieempfehlungen durch ein zu geringes Angebot an klinischen Studien und die einzelfallbezogene Finanzierung von Off-Label-Therapien. Aus Sicht der Präzisionsonkologie werden Kostenübernahmeanträge zu oft von den Kostenträgern abgelehnt, was in erster Linie auf unterschiedlichen Auffassungen molekularer Evidenz beruht, kritisierte Mack: Die molekularen Evidenzlevel entsprechen nicht den bekannten Abstufungen der evidenzbasierten Medizin und werden daher auch häufig als nicht ausreichend zur Erfüllung der gesetzlichen Bedingungen für Kostenübernahmen bei individuellen Heilversuchen interpretiert.
Trotz der guten technischen Voraussetzungen kann die Präzisionsonkologie derzeit noch nicht als neuer Standard in der Onkologie gelten, so Mack abschließend. Die Rahmenbedingungen ermöglichen es jedoch, dass die Präzisionsonkologie den formal noch ausstehenden Beweis für ihre Wirksamkeit im Sinne eines verbesserten Outcomes für Patientinnen und Patienten noch erbringe.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden