Bei einem ärztlichen Behandlungsfehler sind es nicht die immer wieder diskutierten Schmerzensgeldbeträge, was die zum Teil extremen Entschädigungen ausmacht, berichtete Tanja Unger von der Kanzlei für Medizinrecht Putz-Sessel-Soukoup-Steldinger in München auf dem 13. Gynäkologie-Geburtshilfe-Update-Seminar am 25. und 26. März 2022 in Berlin:
Oft heißt es nach einem Behandlungsfehler: „In Amerika hätte man dafür Millionen bekommen!“ Hierbei wird jedoch übersehen, dass die in Deutschland nach einem Behandlungsfehler geleisteten Beträge nur zum Teil an die Patienten fließen. Diese erhalten zum einen ein Schmerzensgeld sowie die ihnen entstehenden materiellen Schäden, z. B. Verdienstausfall oder Zuzahlungsersatz, nicht selten in beträchtlicher Höhe.
Im Übrigen fallen sie in das so genannte „soziale Netz“ und erhalten z. B. neben der anfänglichen Lohnfortzahlung Leistungen aus der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung. Auch ein z. B. durch Fehler bei der Geburtsbetreuung lebenslang behindertes Kind erhält umfangreiche staatliche Leistungen. Sämtliche dieser Fürsorgeeinrichtungen können aber beim sog. Schädiger Regress nehmen.
Alles in allem sind die Summen bei großen Schäden wie Geburtsschäden mit schwer geschädigten, aber langfristig lebensfähigen Kindern kaum geringer als in den Vereinigten Staaten, erklärte Unger. Die vergleichbaren Summen erhalten in den USA die Geschädigten direkt und müssen damit für den Rest ihres Lebens auskommen. Von daher dürfen hier nicht „Äpfel mit Birnen verglichen“ werden.
Ein weiterer Aspekt sei, dass die enormen in den USA gezahlten Gesamtsummen zusätzlich drastisch durch die dort üblichen exorbitanten Erfolgshonorare der Rechtsanwälte von 40 bis 50 Prozent gemindert werden – „Beträge, von denen deutsche Anwälte nur träumen dürfen“.
Doch auch in Deutschland ist in den letzten Jahren ein Trend zu deutlich höheren Entschädigungsleistungen erkennbar, so Unger weiter. Die Kehrseite hiervon seien immer höhere Versicherungsbeiträge in der Berufshaftpflichtversicherung. Am höchsten seien diese Beiträge im Bereich der Geburtshilfe, so dass diese für manchen Geburtshelfer – und vor allem für viele Hebammen – nicht mehr zu finanzieren seien, was wiederum in vielen Gebieten zu einer Unterversorgung führe.
Ein adäquater Ausgleich könnten daher nur höhere Honorare für die besonders „gefahrträchtigen“ Fachbereiche sein, was wiederum letztlich höhere Versicherungsbeiträge für alle Versicherten in der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung zur Folge hätte. So würde das, was einzelnen Geschädigten willkommen wäre, alle durch die Hintertür letztlich teuer zu stehen kommen, warnte Unger.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden