Neben der optimalen chirurgischen Versorgung eines gebrochenen Knochens steht zunehmend die Abklärung einer möglichen Ursache im Vordergrund, falls die Art des Sturzes oder des Traumas nicht wirklich ausreichend war, um einen Knochenbruch zu erklären, berichtete Heide Siggelkow, Ärztliche Leiterin des MVZ ENDOKRINOLOGIKUM Göttingen, auf dem 64. Kongress für Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) am 3. März 2021.
Das Bewusstsein der Unfallchirurgen, sich in die weitere Diagnostik einzubringen, hat extrem zugenommen. Im Rahmen sogenannter Fracture Liasion Services (abgekürzt FLS) haben sich Fachdisziplinen interdisziplinär erfolgreich koordiniert, um für die Betroffenen die weitere Diagnostik und gegebenenfalls Therapie zu optimieren. Morbidität und Mortalität der Betroffenen können mit FLS erfolgreich reduziert werden.
Dabei stehen heute neben der Knochendichtemessung mittels DXA-Messung spezifische Laboruntersuchungen zur Verfügung, die häufig die Ursachen von Frakturen bei nur geringem Trauma klären können. Insbesondere für junge Patientinnen mit Frakturen geht die Diagnostik bis zur Knochenbiopsie oder beinhaltet genetische Analysen, um eine sogenannte Early-Onset-Osteoporose oder auch eine seltene Knochenerkrankung sicher ausschließen zu können.
Dies ist von zunehmender Wichtigkeit, betonte Siggelkow, da neue Therapiemöglichkeiten für seltene Erkrankungen existieren. Die korrekte und schnelle Diagnose kann daher für die Betroffenen den Zugang zu neuen Therapieoptionen bedeuten und damit Komplikationen der Erkrankung verhindern. Beispiele für diese Erkrankungen sind die Osteogenesis imperfecta, die Hypophosphatasie oder die x-gebundene Hypophosphatämie.
Ist die Ursache des fragilen Knochens eine Osteoporose, so kann ein erneuter Bruch weitgehend verhindert werden. Die seit dem letzten Jahr auch in Deutschland zur Verfügung stehende neue Therapieoption mit dem monoklonalen Sklerostin-Antikörper Romosozumab hat das aktuelle Therapievorgehen international revolutioniert. War eine Knochendichtezunahme von zehn Prozent in einem Jahr vorher undenkbar, ist das jetzt Realität – mit einer herausragenden Fraktursenkung, deutlich besser als die bisherige Standardtherapie der Osteoporose.
Somit ist die Identifikation von Betroffenen mit der ersten Fraktur so entscheidend, um eine schnelle Therapie beginnen zu können, so Siggelkow. Leider zeigten jedoch noch vor einigen Jahren Daten der Techniker Krankenkasse, dass zumindest damals auch nach sechs und mehr (!) osteoporotisch bedingten Frakturen in Deutschland nur etwa die Hälfte der Betroffenen spezifisch behandelt wurde.
Anmerkung aus gutachtlicher Sicht
Auch aus gutachtlicher Sicht kann das Thema durchaus relevant sein:
Falls etwa zu beurteilen ist, ob eine pathologische Fraktur nicht adäquat abgeklärt wurde und es in der Folge zu weiteren Frakturen oder sonstigen Komplikationen gekommen ist, welche bei differenzierter Diagnostik und spezifischer Therapie hätten verhindert werden können. Hier stellt sich die Frage eines Befunderhebungsfehlers (Unterlassung, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben).
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden