„Bei der Auswahl eines Sachverständigen ist auf das Fachgebiet abzustellen, in das der zugrunde liegende Eingriff fällt. Die postoperative Entscheidung, einen Patienten nach der Herzoperation wegen abdominaler Komplikationen zu verlegen, unterfällt dem herzchirurgischen Behandlungsstandard.“ So lautet der erste Leitsatz eines Beschlusses des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden vom 20.3.2023 (AZ: 4 U 2528/32), über welchen die Fachzeitschrift „Versicherungsrecht“ berichtet.
Zu beurteilen war der Fall eines Mannes, bei dem notfallmäßig eine Herz-Bypass-Operation durchgeführt worden war. Wegen Bauchschmerzen und Anstieg der Infektionsparameter im Labor wurde 8 Tage postoperativ eine CT-Untersuchung des Abdomens veranlasst mit der Folge, dass der Patient noch am gleichen Tag auf die Allgemein- bzw. Viszeralchirurgie verlegt wurde. Bei einer sofort notfallmäßig durchgeführten Laparotomie fand sich eine kotige Peritonitis, die zu einem komplizierten Krankheitsverlauf führte.
Nach Einholung zweier Sachverständigengutachten hatte das Landgericht (LG) Dresden die Klage auf Behandlungsfehler wegen ungenügender Diagnostik und in der Folge zu spät eingeleiteter Behandlungsmaßnahmen abgewiesen. Nach Beurteilung des herzchirurgischen Gutachters sei „die gastrointestinale Symptomatik früh erkannt, korrekt dokumentiert und verfolgt worden“.
Eine Berufung des Klägers gegen dieses Urteil hätte keinen Erfolg, erklärte das OLG und riet aus Kostengründen zur Berufungsrücknahme.
Kommentar
Den Ausführungen des Gerichts, dass in der Begutachtung zur Frage eines Behandlungsfehlers in diesem Fall allein der Facharztstandard in der Herzchirurgie maßgeblich sei, ist zuzustimmen. So hatte etwa der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 24.2.2015 (AZ: VI ZR 106/13, Koblenz) festgestellt, dass die Frage, welche Maßnahmen der Arzt aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs in der jeweiligen Behandlungssituation ergreifen muss, sich in erster Linie nach medizinischen Maßstäben richtet. Diese hat der Richter mit Hilfe eines Sachverständigen zu ermitteln.
Nicht zu akzeptieren ist dagegen die Behauptung, die Entscheidung, einen Patienten (mehrere Tage) nach einer Herzoperation wegen abdominaler Komplikationen (zur Notoperation in die Allgemein-/Viszeralchirurgie) zu verlegen, falle unter den herzchirurgischen Behandlungsstandard:
Tatsächlich war hier zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt postoperativ der behandelnde Herzchirurg den Verdacht auf eine (nicht in sein Fachgebiet fallende) abdominale Komplikation hätte haben müssen mit Erfordernis, diese weiter abklären zu lassen – etwa durch eine CT-Untersuchung des Abdomens oder durch ein allgemein-/viszeralchirurgisches bzw. gastroenterologisches Konsil. Es handelt sich somit um die Frage eines Befunderhebungsfehlers.
Die Entscheidung, den Patienten dann wegen nachgewiesener abdominaler Komplikationen zur Notoperation zu verlegen, musste jedoch nach dem allgemein-/viszeralchirurgischen, nicht aber nach dem herzchirurgischen Behandlungsstandard erfolgen!
(Versicherungsrecht 74 (2023) 19: 1251-1252)
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden