Auch bei der Behandlung einer vermeintlich banalen Erkrankung wie der Gicht mit einem seit Jahrzehnten bekannten und eigentlich phytotherapeutischen Präparat wie Colchicin müssen schwere, ggf. tödliche Arzneimittelinteraktionen berücksichtigt werden, warnte Bernhard Manger, stellvertretender Klinikdirektor der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie am Universitätsklinikum Erlangen, auf dem 16. Rheumatologie-Update-Seminar am 12. und 13. März 2021 (Livestream-Veranstaltung).
Gicht ist die häufigste inflammatorische Gelenkerkrankung. Die globale Prävalenz liegt zwischen < 1 % und 6,8 %, wobei die höchsten Werte, bedingt durch Ernährung und Lifestyle, in den westlichen Industrienationen festgestellt werden. Alle verfügbaren Daten aus den unterschiedlichsten Ländern weisen eine stetige Zunahme der Erkrankungshäufigkeit in den vergangenen 20 Jahren auf, und bis zum Jahr 2060 wird ein Anstieg der Gichtmortalität um 55 % vorausberechnet.
Nach allen nationalen und internationalen Therapieempfehlungen besteht die Therapie der ersten Wahl bei der akuten Gicht in der Gabe von nichtsteroidalen Antirheumatika oder von Glukokortikoiden oder aber von Colchicin.
Neben der kurzzeitigen Anwendung in der Therapie der akuten Gicht werden jedoch immer häufiger Patienten auch über Monate und Jahre mit Colchicin therapiert – sei es zur Anfallsprophylaxe bei Kristallarthropathien oder auch bei anderen Indikationen, wie M. Behçet oder familiärem Mittelmeerfieber. Erste Hinweise auf eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos durch die antiinflammatorische Wirkung des Colchicins könnten zudem zu einer Ausweitung der Indikation auch im kardiologischen Bereich führen. (Anzumerken ist noch, dass Anfang 2021 über positive Effekte von Colchicin bei COVID-19 berichtet wurde.)
Deshalb ist, so Manger, eine erneute detaillierte Analyse der Therapiesicherheit dieses Wirkstoffs sinnvoll. Zwar konnte eine Metaanalyse von 35 randomisierten Studien (Stewart et al, 2020) zeigen, dass bei einer oralen Colchicin-Therapie mit Dosen von maximal 1,8 mg pro Tag lediglich Diarrhoen und andere gastrointestinale Unverträglichkeiten gegenüber Plazebo oder Vergleichssubstanzen signifikant häufiger auftraten, nicht aber Nebenwirkungen von Seiten der Leber, der Muskulatur, des Nervensystems oder des Knochenmarks.
Allerdings wurde Colchicin in diesen Studien meist als Monotherapie eingesetzt. Gefährlich wird es, wenn bei Patienten unter einer Colchicin-Dauertherapie eine weitere Behandlung mit einem starken CYP3A4-Inhibitor wie Clarithromycin, Itra- oder Ketoconazol begonnen wird.
Die Auswertung eines „Adverse Event Reporting Systems“ der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA identifizierte 58 gemeldete Fälle, bei denen unter einer laufenden Colchicin-Therapie zusätzlich Clarithromycin wegen Atemwegsinfekten oder zur Helicobacter-Eradikation verordnet wurde (Villa Zapata et al, 2020). In 30 dieser Fälle verstarben die Patienten innerhalb von zwei Wochen an Knochenmarksaplasie, Leber- und Niereninsuffizienz oder neuromuskulären Komplikationen. Die ersten Symptome der Intoxikation zeigten sich im Mittel fünf Tage nach Beginn der kombinierten Exposition gegenüber beiden Medikamenten.
Unter einer laufenden Colchicin-Therapie sollte daher jedes neu verordnete Medikament unbedingt auf mögliche Interaktionen, insbesondere durch Beeinflussung des CYP3A4-Systems, überprüft werden, forderte Manger.
Bei schweren Komplikationen oder gar Tod des Patienten als Folge einer solchen (den behandelnden Ärzten vermutlich oft unbekannten, aber äußerst gefährlichen) Ko-Medikation kann es durchaus zu einem Arzthaftpflichtprozess kommen, in dem dann ein entsprechendes fachärztliches Gutachten von entscheidender Bedeutung ist.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden
Literatur
1 Stewart, S., Yang, K.C.K., Atkins, K., Dalbeth, N. & Robinson, P.C. (2020). Adverse events during oral colchicine use: A systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. Arthritis Res. Ther., 1, 28.
2 Villa Zapata, L., Hansten, P.D., Horn, J.R., Boyce, R.D., Gephart, S., Subbian, V., Romero, A. & Malone, D.C. (2020). Evidence of clinically meaningful drug-drug interaction with concomitant use of colchicine and clarithromycin. Drug Saf., 7, 661-668.