„Der Umgang mit Schmerzen ist nach wie vor unzureichend. Es gibt eine deutliche Kluft zwischen der hohen Relevanz des Themas und dem mangelnden gesundheitspolitischen Interesse – trotz steigender Betroffenenzahlen und enormer gesundheitlicher Kosten“, kritisierte Joachim Erlenwein, Kongresspräsident und stellvertretender Leiter der Schmerzmedizin an der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Göttingen.
Große Volkskrankheiten, wie beispielsweise chronische Rücken- oder Kopfschmerzen, werden oft isoliert vom jeweiligen Fachbereich aus therapiert. Erst allmählich findet ein Umdenken hin zur interdisziplinären Sichtweise auf Schmerzerkrankungen statt.
„Dem Leitsymptom Schmerz muss als eigenes Krankheitsbild mehr Beachtung geschenkt werden“, betonte Erlenwein. Schmerzen seien multifaktoriell – anatomische, psychologische und soziale Aspekte spielten eine Rolle. „Deshalb muss die Schmerztherapie nach einem bio-psycho-sozialen Ansatz erfolgen.“
Patienten erhalten häufig nur monomodale Therapien, die auf ein Erkrankungssymptom abzielen. „Das kann zu einer Verschlimmerung der Schmerzen und deren Chronifizierung führen“, ergänzte Dagny Holle-Lee, Kongresspräsidentin und Leiterin des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums am Universitätsklinikum Essen. „Chronische Schmerzen sind jedoch komplexe Krankheitsbilder, die sich (meist) nicht schnell mit einer OP, einem Gips oder einer Pille lösen oder gar heilen lassen.“
So sollte die Therapie aus einem Zusammenspiel beispielsweise aus speziellen ärztlichen Schmerztherapeuten, Physiotherapie und Psychologie bestehen, um Betroffene optimal zu behandeln. Die Kongresspräsidenten waren sich einig: „Die Versorgung von Menschen mit Schmerzen muss in Deutschland umgedacht werden, damit die Millionen Betroffene die Versorgung erhalten, die sie benötigen. Dafür ist es notwendig, chronischen Schmerz als eigenes Krankheitsbild zu sehen, das eine eigene gezielte und interdisziplinäre Behandlung erfordert.“
Die fehlende flächendeckende Versorgung verschärft das Versorgungsproblem zusätzlich: „Patientinnen und Patienten warten oft Monate oder Jahre auf eine adäquate Behandlung“, kritisierte Holle-Lee. Notwendig sei ein abgestuftes, sektorenübergreifendes Versorgungssystem, das den Zugang zu hochwertiger Schmerztherapie sicherstelle.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden