Dort wird ausgeführt:
Der Medizinische Standard meint grundsätzlich den zum Kernbereich ärztlicher Tätigkeit gehörenden Standard medizinischer Behandlung. Behandlung umfasst Diagnose, Indikationsstellung, Therapie sowie Vor- und Nachsorge. Obwohl der Medizinische Standard im Zentrum aller medizinischen und gesundheitsrechtlichen Überlegungen steht, ist der Begriff der Medizin selbst fremd, jedenfalls nicht definiert, er ist ein medizinisches Konstrukt.
Zur Standardermittlung wird festgestellt:
Das Recht behält die Definitionshoheit über seinen Standard, die Inhaltshoheit liegt hingegen bei der Medizin. Dieser Kompetenzkonflikt zwischen Medizin und Recht spiegelt sich im Arzthaftungsprozess in der Rollenverteilung von Gutachter und Richter. Der Richter hat den Medizinischen Standard mithilfe eines ärztlichen Gutachters zu ermitteln und darf ihn nicht ohne Gutachten oder gegen den Sachverständigen feststellen.
Nach der Rechtsprechung gibt der Standard Auskunft darüber, welches „Verhalten von einem Arzt ... aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs erwartet werden kann“. Eine Pflichtwidrigkeit des Arztes ist im Arzthaftungsrecht der zentrale Haftungsgrund. In der Standardverfehlung liegen sowohl der ärztliche Behandlungsfehler als auch die medizinische Fahrlässigkeit.
Von besonderer Bedeutung sind einzelne Standardabweichungen, die auch durch die Individualisierung der modernen Medizin immer häufiger vorkommen. Die Behandlung richtet sich dann nach dem Standard der von Arzt und Patient gewählten Behandlungsmethode, der prinzipiell nicht unterschritten werden darf.
(Anmerkung des Autors: Das darf allerdings nicht dazu führen, dass bei der Anwendung alternativmedizinischer Verfahren ohne nachgewiesene diagnostische Aussagekraft bzw. therapeutische Wirksamkeit die sogenannte „Binnenanerkennung“ als Standard herangezogen wird!)
(Versicherungsrecht 73 (2022) 24, 417-418)
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden