Wesentliche Punkte der qualitätssichernden Anforderungen betreffen die Infrastruktur und Organisation der medizinischen Einrichtungen. Nachweislich müssen sie zudem über eine pflegerische und fachärztliche Kompetenz in der Behandlung von neuromuskulären Erkrankungen und speziell der SMA verfügen. Der heute gefasste Beschluss des G-BA tritt in Kraft, wenn das Bundesministerium für Gesundheit innerhalb von zwei Monaten keine rechtlichen Einwände erhebt. Bestehende Behandlungseinrichtungen müssen anschließend innerhalb von 6 Monaten nachweisen, dass sie die Anforderungen erfüllen.
„Eltern genauso wie die behandelnden Ärztinnen und Ärzte verknüpfen riesige Hoffnungen und Erwartungen mit der gentherapeutischen Behandlung von Kindern mit spinaler Muskelatrophie. Denn bislang gibt es kaum Therapiealternativen. Und der Hersteller verspricht Heilung bei einer einmaligen Anwendung. Der Therapieansatz zur Behandlung dieser seltenen und hoch komplexen Erkrankung ist komplett neuartig, deshalb wissen wir naturgemäß leider noch wenig über akute und langfristige Nebenwirkungen oder Komplikationen. Hinzukommt, dass die Datenlage zu diesem Orphan Drug, also einem Arzneimittel gegen seltene Krankheiten, derzeit sehr schwach ist. Der G-BA hat deshalb im Sinne der Patientensicherheit bewusst hohe fachliche Anforderungen an die Erfahrungen der Einrichtungen in Bezug auf die Differentialdiagnostik, die Anwendung und die Nachsorge definiert, um die Therapie auf besonders spezialisierte Behandlungseinrichtungen zu konzentrieren. Krankenhäuser, die diese Qualitätsanforderungen nachweislich erfüllen, sollten aus Sicht des G-BA keine Einzelfallanträge zu der Arzneimitteltherapie mehr stellen müssen. Dieser für die Leistungserbringer sehr wichtige Punkt sollte jedoch auch gesetzlich klargestellt werden. Einen entsprechenden Vorschlag haben die drei unparteiischen Mitglieder in die Diskussion um das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz eingebracht“, erläuterte Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA und Vorsitzender des Unterausschusses Arzneimittel.
Zudem gibt Prof. Hecken einen Ausblick auf weitere Zolgensma®-Beschlüsse: „Bei den Plenumssitzungen Mitte Dezember und voraussichtlich auch Anfang Februar wird Zolgensma® ebenfalls eine Rolle spielen. Trotz der bislang unvollständigen Datenlage wird der G-BA im Dezember das Bewertungsverfahren zum Ausmaß des Zusatznutzens von Zolgensma® vorläufig abschließen – da es sich um ein Orphan Drug handelt, gilt der Zusatznutzen aufgrund einer gesetzlichen Grundsatzentscheidung bereits als gegeben. In unseren Entscheidungsunterlagen werden wir auch darstellen, was wir zum therapeutischen Nutzen und den Nebenwirkungen derzeit wissen. Das sind gerade für behandelnde Ärztinnen und Ärzte nochmals wertvolle Informationen. Für Anfang Februar ist ein Beschluss geplant, mit dem wir zum ersten Mal in die sogenannte anwendungsbegleitende Datenerhebung einsteigen werden: Bei Zolgensma® wollen wir aus der laufenden Versorgung der Patientinnen und Patienten Daten gewinnen, um den therapeutischen Stand des Arzneimittels im Vergleich zu Alternativen besser beurteilen zu können. Denn bei Zolgensma® lagen zum Zeitpunkt der Zulassung noch keine vollständigen klinischen Daten zur Beurteilung des langfristigen Zusatznutzens vor.“
Zolgensma® zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie (SMA)
Die SMA ist eine seltene, genetisch bedingte neuromuskuläre Erkrankung. Sie geht einher mit Muskelschwäche und Skelettverformungen und führt in der schwersten Form unbehandelt zum Tod. Jährlich werden in Deutschland ca. 80 bis 120 Kinder (davon mindestens die Hälfte mit SMA Typ 1, der schwersten Form der SMA) mit dieser genetischen Krankheit geboren. Die wenigen Behandlungsmöglichkeiten beschränken sich derzeit (neben der Therapie mit Zolgensma®) je nach Erkrankungsbild auf eine dauerhafte Gabe des Antisense-Oligonukleotids Spinraza® (Nusinersen) oder auf eine patientenindividuell optimierte, unterstützende Behandlung, um Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.
Zolgensma® kann in Deutschland seit dem 1. Juli 2020 bei der Behandlung der SMA eingesetzt werden. Es handelt sich um eine Gentherapie, die bei bestimmten Formen der SMA eine Kopie des fehlenden Gens liefert und entsprechend frühzeitig in den Krankheitsverlauf eingreifen soll, um das Fortschreiten der Muskelschwäche aufzuhalten. Zolgensma® wird einmalig angewendet.
Beschlossene Anforderungen an Diagnostik, Anwendung und Nachsorge
Die Qualitätsanforderungen konzentrieren sich auf den Einsatz von Zolgensma® bei Säuglingen, Kleinkindern und Kindern. Die Zulassung dieses Arzneimittels schränkt nicht dessen Anwendung auf eine bestimmte Altersgruppe ein. Es ist jedoch aufgrund der bislang begrenzten Erfahrungen mit Patientinnen und Patienten älter als 2 Jahre oder schwerer als 13,5 kg davon auszugehen, dass die Anwendung bei älteren Patientinnen und Patienten seltener erfolgt.
Im Bereich der Diagnosestellung will der G-BA mit seinen Anforderungen sicherstellen, dass die Voraussetzungen für den Einsatz von Zolgensma® gegeben sind. Insbesondere muss molekulargenetisch abgeklärt werden, dass bei der klinisch diagnostizierten SMA genau die Gendefekte vorliegen, die mit Zolgensma® behandelt werden können.
Bezogen auf die Infrastruktur der medizinischen Einrichtung sowie ihre pflegerische und fachärztliche Kompetenz gibt der G-BA vor, dass die Anwendung von Zolgensma® ausschließlich durch Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwerpunkt Neuropädiatrie erfolgt. Dadurch soll das Risiko von Komplikationen sinken. Zugleich soll abgesichert werden, dass Patientinnen und Patienten optimal und unverzüglich betreut werden, sollten Komplikationen dennoch einmal auftreten. Hierzu gehört auch, dass die Einrichtung anhand von Fallzahlen ihre Erfahrung in der Behandlung von neuromuskulären Erkrankungen und insbesondere auch der SMA belegen muss. Diese Erfahrungswerte können beispielsweise über die Meldung der Behandlungen an das Register für Patienten mit spinaler Muskelatrophie, dem SMArtCARE-Register, dokumentiert werden.
Aufgrund des bislang unbekannten Nebenwirkungsprofils bei diesem neuartigen Therapieprinzip definiert der G-BA einen speziellen Plan für die ambulante Nachsorge. Vorgesehen ist, dass die Patientinnen und Patienten mindestens 15 Jahre nachbeobachtet werden und hierzu in genau festgelegten Intervallen untersucht werden.
Inkrafttreten
Der Beschluss wird dem Bundesministerium für Gesundheit zur Prüfung vorgelegt und tritt nach Nichtbeanstandung und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.
Hintergrund: Qualitätsgesicherte Anwendung von Onasemnogen-Abeparvovec als Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP)
Der Wirkstoff Onasemnogen-Abeparvovec gehört zur Gruppe der Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP). Mit dem im August 2019 in Kraft getretenen Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) erhielt der G-BA die neue Aufgabe, in einer Richtlinie qualitätssichernde Anforderungen an die vertragsärztliche und stationäre Anwendung von ATMP festzulegen. Dabei geht es insbesondere um die notwendige Qualifikation der Leistungserbringer und um strukturelle Anforderungen. Der G-BA kann die Anforderungen auch indikationsbezogen oder bezogen auf Arzneimittelgruppen festlegen.
Der auf Basis der neuen gesetzlichen Regelungen getroffene Beschluss über Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei der Anwendung von Onasemnogen-Abeparvovec bei spinaler Muskelatrophie (SMA) wird Bestandteil der neuen Richtlinie zu Anforderungen an die Qualität der Anwendung von Arzneimitteln für neuartige Therapien gemäß § 136a Absatz 5 SGB V (ATMP-Qualitätssicherungs-Richtlinie – ATMP-QS-RL).
Pressemitteilung Gemeinsamer Bundesausschuss G-BA