Das als Arbeitshilfe in der Beurteilung obstruktiver Atemwegserkrankungen nicht nur für den ärztlichen Gutachter, sondern auch für Sachbearbeiter in den Unfallversicherungen und Juristen in der Sozialgerichtsbarkeit gedachte „Reichenhaller Merkblatt“ hat nach der Erstauflage im Jahre 2006 als „Reichenhaller Empfehlung“ im November 2012 nach Überarbeitung eine Neuauflage erfahren. Die nächste Überarbeitung ist für das Jahr 2017 eingeplant.
Den hierin enthaltenen Vorschlag zum Ablauf einer Begutachtung der Berufskrankheiten Listennummern 1315 (Erkrankung durch Isozyanate), 4301 (durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen) sowie 4302 (durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen) erläutert Raab in der Ausgabe 2/2013 der Zeitschrift „Trauma und Berufskrankheit“. Nach Anamnese und allgemeiner körperlicher Untersuchung ist die Lungenfunktion mittels der (von einer guten Mitarbeit abhängigen) Spirometrie und Bodypletysmographie zu überprüfen, durchgeführt werden soll weiter eine Messung der Diffusionskapazität sowie der Blutgasanalyse in Ruhe und unter Belastung. Ergänzt werden kann der Untersuchungsgang durch eine Spiroergometrie sowie bei grenzwertiger Obstruktion durch eine Prüfung der bronchialen Hyperreagibilität.
Die Erstuntersuchung schließt auch eine Allergiediagnostik mittels Pricktest ein, ferner eine Provokation mit den am Arbeitsplatz ermittelten verdächtigen Stoffen, dies aber nur nach schriftlicher Aufklärung und Einwilligung. Rein chemisch-irritativ wirkende und natürlich kanzerogene Substanzen sind kontraindiziert. Die gutachterlichen Erwägungen zur Kausalität haben in bekannter Weise eine wertende Gegenüberstellung aller rechtlich wesentlichen Ursachen an der Verursachung des Krankheitsbildes zum Gegenstand.
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ergibt sich aus dem Gesamtbild von Anamnese und klinischem Befund, ergänzt durch die Ergebnisse von Lungenfunktion und Belastungstests, wobei aber auch die erzielten Therapieerfolge nach den aktuell gültigen Leitlinien in die Bewertung mit einfließen. Sollte bei der Erstuntersuchung eine noch unzureichende Therapie festgestellt werden, ist nach deren Optimierung ein zweiter Untersuchungstermin anzusetzen. Für die Erstuntersuchung hinsichtlich Diagnose und Kausalität sollte nach Möglichkeit die Therapie vorübergehend abgesetzt werden, wobei sich dies aber bei einer schweren Ausprägung des Krankheitsbildes natürlich verbietet.
Der als Tatbestandsmerkmal der Berufskrankheiten 1315, 4301 und 4302 gehörende Zwang zur Aufgabe aller Tätigkeiten, die für Entstehung, Verschlimmerung oder Wiederaufleben der Erkrankung ursächlich sind, ist nach einem Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 16.08.2005 erst zu bejahen, wenn alle Möglichkeiten einer Abhilfe ausgeschöpft sind. Dabei sind neben medizinischen auch soziale Auswirkungen in die Abwägungen mit einzubeziehen.
(Raab W: Begutachtung obstruktiver Atemwegserkrankungen. Vom Reichenhaller Merkblatt zur Reichenhaller Empfehlung. Trauma und Berufskrankheit (2013), 2: 91–95)
E. Losch, Frankfurt/M