Die dendritische Zelltherapie ist keine von der Schulmedizin überwiegend anerkannte Behandlungsmethode. Sie hat sich – jedenfalls für den Bereich des metastasierten Mammakarzinoms – auch nicht in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt wie die schulmedizinische Methode der Chemotherapie, erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Köln mit Urteil vom 11.3.2016 (AZ: 20 U 178/14), über das die Fachzeitschrift „Versicherungsrecht“ (2017), 1: 28–30 berichtet.
Geklagt hatte ein Mann, dessen inzwischen verstorbene Frau an einem metastasierten Mammakarzinom gelitten und die sich – nach Ablehnung der medikamentösen Behandlung – mit einer dendritische Zelltherapie hatte behandeln lassen. Der Kläger forderte von der privaten Krankenversicherung eine Freistellung von den Behandlungskosten. Die Klage wurde jedoch – wie bereits beim Landgericht in der Vorinstanz – vom OLG Köln abgelehnt.
Als Begründung führen die Richter an, dass bei Einleitung und Durchführung der dendritischen Zelltherapie schulmedizinische Methoden zur Verfügung gestanden haben. So hat der vom OLG Köln beauftragte Sachverständige ausgeführt, dass nach der S3-Leitlinie zum Mammakarzinom mehrere Indikationen zur adjuvanten Chemotherapie vorgelegen hatten, die jedoch von der Patientin abgelehnt worden waren.
Letztlich, so der Gutachter, bleibe in der metastasierten Situation die Chemotherapie (mit verschiedenen möglichen Medikamenten-Kombinationen) der zentrale Ansatz einer sinnvollen Therapie; die verfolgten Ziele seien hier die Lebensverlängerung, die Linderung tumorassoziierter Symptome und das Erreichen eines akzeptablen Levels der Lebensqualität. Die Ausführungen des Gutachters wurden von den Kölner Richtern als nachvollziehbar und überzeugend angesehen. Durch eine solche (im Wesentlichen zwar palliative) Therapie hätte zumindest die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung verlängert werden können und es wären eine Linderung der Symptome sowie ein akzeptables Maß an Lebensqualität möglich gewesen.
Für die Therapie mit dendritischen Zellen existieren im Bereich des metastasierten Mammakarzinoms dagegen keine relevanten Fallzahlen, wonach eine eindeutige Remission eine Verbesserung der Symptomatik oder ein längeres Überleben erwartet hätten werden können, wie bereits der in der ersten Instanz vom Landgericht beauftragte Gutachter ausgeführt hatte. Hierzu gebe es, so der Gutachter, beim größten Weltkongress über Brustkrebs seit Jahren auch keine positiven Beiträge mehr.
Der vom OLG Köln beauftragte Gutachter führte (im Ergebnis übereinstimmend mit dem Vorgutachter) aus, dass die dendritische Zelltherapie vor allem bei immunogenen Tumoren wie dem malignen Melanom oder bei Nierenzellkarzinomen sinnvoll sei; zu diesen Tumoren zähle das Mammakarzinom aber nicht. Zudem fehle es bislang an randomisierten Studien der Klasse III. Es existieren keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine auch nur mögliche Wirksamkeit der dendritischen Zelltherapie jedenfalls bei Erkrankungen der vorliegenden Art.
Auch wurde selbst in einer vom Kläger vorgelegten Stellungnahme des Dr. N. (zum vorher für das Landgericht angefertigte Gutachten) eingeräumt, dass es zur dendritischen Zelltherapie „lediglich einige wenige klinische Studien“ gebe und dass eine in einer Fachzeitschrift publizierte Studie eine einzige Patientin betreffe und schon deshalb nicht repräsentativ sein könne, so die Kölner Richter.
Kommentar
Dieses Urteil und seine Begründung sind bemerkenswert, da der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Beschluss vom 30.10.2013 (AZ: IV ZR 307/12, Bremen) besondere Anforderungen an die Begutachtung der Erfolgsaussichten einer alternativen Behandlungsmethode bei einer schweren Krebserkrankung gestellt hat; auch dort ging es interessanterweise um die dendritische Zelltherapie (s. Versicherungsmedizin (2014) 66, 1: 30–32).
Demnach kann bei einer lebensbedrohenden oder gar lebenszerstörenden, unheilbaren Erkrankung nicht mehr darauf abgestellt werden, ob sich die gewünschte Behandlung zur Erreichung des vorgegebenen Behandlungsziels tatsächlich eignet. Vielmehr ist in solchen Fällen die objektive Vertretbarkeit der Behandlung bereits dann zu bejahen, wenn sie nach medizinischen Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken.
Dabei ist nicht einmal zu fordern, dass der Behandlungserfolg näher liegt als sein Ausbleiben. Vielmehr reicht es aus, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt. Das setzt lediglich voraus, dass die gewählte Behandlungsmethode auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruht, der die prognostizierte Wirkweise auf das angestrebte Behandlungsziel zu erklären vermag, sie somit zumindest wahrscheinlich macht, erklärte der BGH.
Die Bestimmung der Leistungspflicht des Versicherers hat sich in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung des Versicherungsnehmers auch daran zu orientieren, was einerseits anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlungen zu leisten vermögen und andererseits die alternative, vom Versicherungsnehmer gewünschte Behandlung zu leisten vorgibt.
Bietet die Schulmedizin nur noch palliative Therapien an, weil sie jede Möglichkeit kurativer Behandlung als aussichtslos erachtet, kommt die Notwendigkeit einer Alternativbehandlung schon dann in Betracht, wenn sie eine durch Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg bietet. Der an einer schweren lebensbedrohlichen oder lebenszerstörenden Krankheit leidende Versicherte kann nicht auf lediglich der Eindämmung oder Linderung von Krankheitsbeschwerden dienende Standardtherapien verwiesen werden, wenn eine Alternativbehandlung die nicht ganz entfernte Aussicht auf weitergehende Heilung bietet.
Für die Notwendigkeit der Behandlung mit dendritischen Zellen in einem solchen Fall reichte es, ungeachtet des bisherigen Versuchscharakters dieser Methode, aus, wenn sie – mittels Indizien medizinisch begründbar – eine nur wahrscheinliche Aussicht auf Heilung verspreche, so der BGH. Diesen hohen Anforderungen an die Beurteilung der dendritischen Zelltherapie ist der vom OLG Köln beauftragte Gutachter hier gerecht geworden.
Zu beachten ist schließlich, dass die Beurteilung der Therapie des metastasierten Mammakarzinoms mit dendritischen Zellen im vorliegenden Fall auf die medizinischen Erkenntnisse das Jahres 2011 abzustellen war (den Zeitraum, in dem die Behandlung offenbar erfolgt war).
Hinzuweisen ist hier auf eine Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie (PRIO) in der Deutschen Krebsgesellschaft vom 5. April 2011. Darin wurde als wissenschaftliches Fazit angegeben, dass es sich bei der dendritischen Zelltherapie „um eine experimentelle Therapie handelt, bei der Nutzen und Risiken für den Patienten noch unbekannt sind“.
Abschließend lautete die Empfehlung der Deutschen Krebsgesellschaft:
Aufgrund der großen Hoffnungen, die in die Entwicklung der immunologischen Therapien mit Tumorimpfstoffen und dendritischen Zellen gesetzt werden, werden verschiedene Formen der Therapie mit dendritischen Zellen und/oder Tumorimpfstoffen bereits gegen Bezahlung von verschiedenen Institutionen angeboten. Diese Angebote finden außerhalb der universitären Forschung statt und unterliegen nicht den Qualitäts- und Ergebniskontrollen wie sie in wissenschaftlichen Studien Standard sind.
Die Therapie mit Tumorimpfstoffen und dendritischen Zellen befindet sich in der wissenschaftlichen Entwicklung. Die aktuellen Therapieergebnisse sprechen gegen einen Einsatz außerhalb von wissenschaftlichen Studien. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass negative Auswirkungen auf den Patienten und die Tumorerkrankung auftreten.
Auch für Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen stellt diese Therapie außerhalb von klinischen Studien keine von der Deutschen Krebsgesellschaft empfohlene Therapie dar. Die Deutsche Krebsgesellschaft empfiehlt Patienten mit Tumorimpfstoffen und dendritischen Zellen nur innerhalb klinischer Studien zu behandeln. Sie fordert alle Ärzte auf, ihren Patienten von Therapieangeboten außerhalb von Studien auf privater Zahlungsbasis abzuraten und Patienten mit Informationsbedarf an ein entsprechendes Forschungs- und Studienzentrum zu verweisen.
Dieser Beurteilung kann auch heute noch aus gutachtlicher Sicht voll zugestimmt werden.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden