Der Plazeboeffekt hat in der ärztlichen Behandlung eine wesentliche Bedeutung, da es in der medizinischen Praxis keine therapeutische Maßnahme ohne einen potenziellen Plazeboeffekt gibt, erklärte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer in seiner Stellungnahme „Placebo in der Mvedizin“ am 19.7.2010 im Deutschen Ärzteblatt. So werden nach einer Schweizer Studie von den meisten Hausärzten Plazebos eingesetzt, allerdings weit überwiegend Pseudoplazebos.
Es besteht allerdings in der therapeutischen Praxis nicht nur eine Unsicherheit, sondern auch eine Unkenntnis darüber, inwieweit eine Plazebogabe in ethischer und rechtlicher Hinsicht erlaubt, vielleicht sogar geboten ist. Angesichts des nachgewiesenen Nutzens einer Plazebogabe wurde vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer aus ethischer Sicht die bewusste Anwendung von Plazebos oder sog. „Pseudoplazebos“ in der therapeutischen Praxis durchaus für vertretbar gehalten.
Bei der Plazebobehandlung liegt aber ein „Aufklärungsdilemma“ vor, stellen die Juristen Dr. jur. M. Gaßner, Präsident des Bundesversicherungsamtes, und J. E. Stömer, LL.M. (Medizinrecht), Referent im Bundesversicherungsamt, in einem aktuellen Aufsatz in der Zeitschrift „Versicherungsrecht“ fest.
Bei einer Plazebobehandlung soll der Patient typischerweise gar nicht wissen, dass er (nur) mir einem Plazebo behandelt wird. Wenn aber der Arzt seiner rechtlichen Verpflichtung zur Aufklärung des Patienten nachkommen will und ihn daher über den Plazebocharakter der beabsichtigten Behandlung in Kenntnis setzt, zerstört er hierdurch möglicherweise den angestrebten Plazeboeffekt. Die Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung stellt das zentrale rechtliche Problem bei einer vorsätzlichen Plazebobehandlung dar.
Als pragmatischen Ausweg aus diesem „Aufklärungsdilemma bei einer Plazebobehandlung“ schlagen die Autoren den Einsatz von Homöopathika, insbesondere von Hochpotenzen, vor. Bei den in der Homöopathie verwendeten Hochpotenzen handelt es sich, so ihre Argumentation, rein pharmakologisch um reine Plazebos und nicht um sogenannte Pseudoplazebos (d. h. als Plazebo eingesetzte Präparate, welche aber zumindest einen pharmakologisch wirksamen Stoff enthalten).
Spätestens nach einer umfassenden, 2005 in der Zeitschrift „Lancet“ veröffentlichten Metaanalyse sei offensichtlich, dass eine homöopathische Behandlung gegenüber einer reinen Plazebobehandlung keinen Vorteil bringe und für die Wirksamkeit homöopathischer Behandlungen keine ernstzunehmende Evidenz bestehe.
Bei der Aufklärung über eine homöopathische Behandlung müsse der Arzt unmissverständlich deutlich machen, dass damit die Grenzen der Schulmedizin überschritten werden. Insofern müsse er darüber aufklären, dass es sich bei der Homöopathie nach schulmedizinischen Maßstäben um eine pharmakologisch wirkungslose Behandlung handele. Mit seiner Einwilligung in eine homöopathische Behandlung (nach ordnungsgemäßer Aufklärung!) bringe der Patient zum Ausdruck, dass er mit einem Verzicht auf eine pharmakologisch wirksame Behandlung einverstanden sei.
Insofern sei es rechtlich durchaus zulässig, wenn der Arzt – nach entsprechender Aufklärung und Einwilligung des Patienten – vordergründig eine homöopathische Behandlung durchführe, während es ihm in Wirklichkeit ausschließlich auf das Auslösen des Plazeboeffekts ankomme. Vor diesem Hintergrund könne der Arzt ein Homöopathikum in arzthaftungsrechtlich zulässiger Weise als „Plazebosurrogat“ einsetzen.
Darüber hinaus eignen sich Homöopathika auch aus anderen Gründen in besonderer Weise als „Plazebosurrogat“, führen die Autoren aus. Im Unterschied zu den meisten anderen Arzneimitteln, die ebenfalls zur Auslösung eines Plazeboeffekts eingesetzt werden, haben homöopathische Hochpotenzen aufgrund ihrer pharmakologischen Wirkungslosigkeit nur ein minimales Nebenwirkungsrisiko.
Dies unterscheide Homöopathika beispielsweise von der ebenfalls häufig vorkommenden medizinisch sinnlosen Einnahme hoher Vitamindosen, welche aber teilweise erhebliche Nebenwirkungen haben können.
Gerade die lange Tradition sowie der „pseudowissenschaftliche Habitus“ der Homöopathie erleichtern es dem Arzt und dem Patienten, den möglichen Verdacht eines Plazeboeffekts zu verdrängen, führen die Autoren weiter aus. So werde durch die sachlich überflüssige Übersetzung des homöopathischen Grundprinzips in die lateinische Sprache „similia similibus curentur“ einer unbewiesenen und höchst spekulativen Hypothese eine gewisse „Scheinautorität“ verliehen.
Eine besondere Eignung als „Plazebosurrogat“ ergebe sich schließlich durch den Umstand, dass Homöopathika ohne Wirksamkeitsnachweis arzneimittelrechtlich registriert und als Fertigarzneimittel in Verkehr gebracht werden dürfen. Diese Tatsache erleichtere es dem Arzt, die „Suggestion einer wirkungsvollen Substanz“ im ärztlichen Alltag anschaulich zu vermitteln.
Vor diesem Hintergrund könne sich die Durchführung einer homöopathischen Behandlung trotz ihrer pharmakologischen Wirkungslosigkeit unter dem Gesichtspunkt des absichtlichen Auslösens eines Plazeboeffekts als medizinisch sinnvoll erweisen. Dies gelte insbesondere in Fällen leichterer Erkrankungen, zu deren Behandlung keine physiologisch wirksamen Behandlungsmethoden verfügbar seien oder nur solche, deren Anwendung angesichts ihrer Nebenwirkungen unverhältnismäßig sei.
Ein Arzt darf eine homöopathische Behandlung mit dem ausschließlichen Ziel durchführen, einen Plazeboeffekt auszulösen, fassen die Autoren ihre Argumentation zusammen. Dabei brauche er nur die bei homöopathischen Behandlungen erforderliche Aufklärung durchzuführen und könne so das bei der klassischen Plazebotherapie bestehende „Aufklärungsdilemma“ umgehen.
Erhebe man an die homöopathische Behandlung von vornherein nur den Anspruch, die therapeutischen Wirkungen des Plazeboeffekts auszulösen, könne sie unter dem Gesichtspunkt eines „Plazebosurrogats“ in einer zeitgemäßen Behandlung durchaus eine sachliche Berechtigung haben.
Dass die Verordnung etwa von komplementärmedizinischen Medikamenten, bei denen evidenzbasierten Leitlinien zufolge keine Neben- oder Wechselwirkungen zu erwarten sind, als Plazebobehandlung ethisch und rechtlich vertretbar ist, bestätigen beide Autoren in einem weiteren aktuellen Beitrag im Deutschen Ärzteblatt vom 2.5.2014.
Ein solcher „‘Hokuspokus’ auf Rezept“ könne aber in der Regel nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden: Zwar dürfe ein Arzt in manchen Fällen mit Hokuspokus zaubern, die Krankenkasse müsse aber nicht jeden Zauber bezahlen. Es handele um eine privat abzurechnende „individuelle Gesundheitsleistung“.
Zur Frage der privatärztlichen Abrechnung abschließend eine Anmerkung aus gebührenrechtlicher Sicht: Eine Berechnung der GOÄ-Nummern 30 bzw. 31 für eine homöopathische Erst- bzw. Zwischenanamnese bei einem solchen „schulmedizinischen“ Einsatz von Homöopathika als Plazebotherapie ist nicht zulässig, da es sich ja nicht um eine Behandlung nach den „Regeln der Einzelmittehomöopathie“ handelt.
(Gaßner M, Strömer J: Das Aufklärungsdilemma bei der Placebobehandlung – Homöopathie als pragmatischer Ausweg? Versicherungsrecht 65 (2014), 7: 299
Gaßner M, Strömer J: „Hokuspokus“ auf Rezept. Deutsches Ärzteblatt 111 (2014), 18: 640)
Dr. med. Gerd-Marko Ostendorf
R+V Versicherung, Wiesbaden
Potenzielle Nebenwirkungen von Homöopathika
Notwendige Voraussetzung des Ansatzes von Gaßner und Stömer zum Einsatz von Homöopathika als „Plazebosurrogat“ ist, dass es sich bei den eingesetzten Homöopathika tatsächlich um pharmakologisch wirkungslose Substanzen handelt, wie die Autoren selbst betonen. Das trifft (nur) für homöopathische Hochpotenzen zu, in welchen rein rechnerisch kein Molekül der Wirksubstanz mehr vorhanden sein kann.
Homöopathische Tiefpotenzen können dagegen durchaus noch pharmakologisch relevante Mengen der Wirksubstanz enthalten. Daher warnt die Stiftung Warentest in dem Buch „Die Andere^ Medizin“ (5. Auflage 2005) davor, dass in der Homöopathie Gifte wie Arsen, Blei, Kadmium und Quecksilber verwendet werden. Wenn diese längere Zeit in niedriger Verdünnung eingenommen werden, können sie im Körper zu einer chronischen Vergiftung führen. Weiter werden in der Homöopathie auch Pflanzen eingesetzt, welche das Erbgut schädigen oder die Entstehung von Krebs begünstigen können. Schließlich kommen Homöopathika bis etwa D 8 als mögliche Allergieauslöser in Frage.