Den Versicherungsnehmer trifft im Rahmen eines Krankenversicherungsvertrages eine Obliegenheit, zur sicheren Feststellung eines Prostatakarzinoms eine Biopsie an sich vornehmen zu lassen, so der Leitsatz eines Urteils des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden vom 4.4.2017 (AZ: 4 U 1453/16). Es wies damit die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6.9.2016 (AZ: 8 O 489/15) zurück.
Der Kläger hatte argumentiert, dass sich die Diagnose des Prostatakarzinoms aus der Gesamtschau der Befunde ergebe, nämlich den bildgebenden Befunden im MRT, dem lokalen Tastbefund sowie den regelmäßig bestimmten Laborwerten mit dem Tumormarker PSA. Zudem hatte er eine Kostenerstattung für außerschulmedizinische Methoden, nämlich für eine Therapie mit Hyperthermie und biologischer Krebstherapie, eingeklagt.
Der Kläger hat jedoch nicht den Beweis geführt, dass ein Versicherungsfall im Sinn der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) des beklagten privaten Krankenversicherungsunternehmens vorliegt, d. h. dass es sich um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit handelt, begründeten die Dresdener Richter die Ablehnung der Klage.
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Heilbehandlung medizinisch notwendig ist, ist nach der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung kommt es damit nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die seines behandelnden Arztes an. Vielmehr ist eine medizinische Behandlung dann notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, die Maßnahme des Arztes als medizinisch notwendig anzusehen. Vertretbar ist eine Heilbehandlung dann, wenn sie in wissenschaftlich fundierter und nachvollziehbarer Weise das zu Grunde liegende Leiden hinreichend diagnostisch erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet.
Der Kläger hat nicht zur Überzeugung des Senats den Nachweis geführt, dass er tatsächlich an dem von ihm behaupteten Prostatakarzinom litt bzw. dies diagnostisch hinreichend erfasst war, führten die Dresdener Richter aus. So hatte der gerichtlich bestellte medizinische Sachverständige bereits in seinem schriftlichen Gutachten bezüglich der Diagnose eines Karzinoms beim Kläger ausgeführt: „Das Vorliegen eines Prostatakarzinoms bei Herrn … ist nicht objektiv belegt, da keine histologische Diagnosesicherung durchgeführt wurde. Eine adäquate Ausbreitungsdiagnostik, um ein lokalisiertes Stadium nachzuweisen und damit eine lokale Therapie zu rechtfertigen, ist nicht erfolgt.“
Diese Feststellung hat der Sachverständige nochmals in seinem Ergänzungsgutachten bestätigt, wobei er darauf hingewiesen hat, dass für den objektiven Nachweis eines Prostatakarzinoms der histologische Nachweis, also der Nachweis aus einer Gewebeprobe, „unerlässlich“ sei.
Nach den Erläuterungen des Sachverständigen reichen der PSA-Wert und der MRT-Befund – da nicht tumorspezifisch – weder für sich allein noch in Kombination aus, um die sichere Diagnose eines Prostatakarzinoms zu stellen. Soweit es in der maßgeblichen Leitlinie heißt, dass bei erfolgloser Biopsie auch ein MRT zum Nachweis erfolgen kann, meint dies nur – so der Sachverständige –, dass das MRT durchgeführt werden solle, um anschließend die Biopsie gezielter wiederholen zu können. Damit dient, wie der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat, nach den maßgeblichen Leitlinien der MRT-Befund letztlich für sich allein nicht zum Nachweis des Karzinoms, sondern nur zur Eingrenzung des Untersuchungsbereichs, in dem dann gezielter biopsiert wird.
Darüber hinaus ist der Sachverständige im Einzelnen auf den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Befund eingegangen und hat darauf hingewiesen, dass in diesem lediglich ein „suspekter“ Untersuchungsbefund, nicht jedoch ein Tastbefund bezüglich eines Prostatakarzinoms erwähnt werde. Zudem hat der Sachverständige erklärt, dass aber auch ein Tastbefund nicht ausreichend sei, um eine entsprechende Diagnose zu stellen.
Vielmehr wäre nach den Ausführungen des Sachverständigen selbst bei einem Patienten, bei welchem ein positiver Tastbefund vorläge, ein erhöhter PSA-Wert und ein MRT-Befund, der einen dringenden Verdacht bezüglich eines Karzinoms ausspreche, noch keine hinreichende Diagnose des Karzinoms gegeben. Auch in dem Fall müsse letztlich zum Zweck der Diagnose noch eine Biopsie durchgeführt werden. Lediglich wenn bei durchgeführter Biopsie ein Karzinom festgestellt worden wäre, hätte der Sachverständige in Verbindung mit dem beim Kläger erhobenen PSA-Wert ein „high-risk“ Prostatakarzinom bejaht.
Abschließend hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass nach dem beim Kläger durchgeführten MRT zwar ein pathologischer Befund vorgelegen habe, aber lediglich i. S. einer krankhaften Veränderung, was jedoch noch nicht die Diagnose eines Prostatakarzinoms zulasse.
Entgegen der Auffassung des Klägers greift das Verlangen nach einer Biopsie mittels körperlichen Eingriffs auch nicht in elementare Grundrechte wie das Persönlichkeitsrecht oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein, führte das OLG weiter aus. Aufgrund der privatrechtlichen Beziehungen der am Versicherungsvertrag beteiligten Parteien finden die Grundrechte darauf keine unmittelbare Anwendung. Sie entfalten im Privatrecht ihre Wirkkraft allein durch diejenigen Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen (sog. mittelbare Drittwirkung).
Bei den den Versicherungsnehmer treffenden Untersuchungsobliegenheiten stehen dem sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergebendem Interesse an (informationeller) Selbstbestimmung das erhebliche Offenbarungsinteresse des Versicherers gegenüber, welches in der Vertragsfreiheit wurzelt. Zudem ist der Versicherer einer Krankheitskostenversicherung – auch im Interesse der Versichertengemeinschaft – gehalten, ungerechtfertigte Versicherungsleistungen zu vermeiden.
Der Versicherer ist lediglich verpflichtet, im vereinbarten Umfang die Aufwendungen für die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit zu erstatten, wobei das Vorliegen des Versicherungsfalls von der hinreichenden diagnostischen Erfassung der Krankheit abhängig gemacht wird. Dies setzt im Fall des Prostatakarzinoms nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen aus medizinischen Gründen die Durchführung einer Biopsie voraus, da andere Befunderhebungen – wie Tastbefund etc. – keine hinreichende Aussagekraft für das Vorliegen eines Prostatakarzinoms besitzen.
Nachdem bislang diagnostisch nicht hinreichend geklärt ist, dass der Kläger an einem Prostatakarzinom leidet, kommt es zudem nicht (mehr) darauf an, ob die durchgeführte Behandlung, bezüglich derer der Kläger den Ersatz der angefallenen Kosten verlangt (Hyperthermie und „biologische Krebstherapie“), eine geeignete Therapiemethode darstellt, führten die Dresdener Richter weiter aus. Entsprechendes gelte, soweit der Kläger im Rahmen seines Feststellungsbegehrens den Ersatz zukünftig anfallender Behandlungskosten begehre.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden