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Symposium zur Medikalisierung sozialer Probleme auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) und des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM) vom 22.–24. März 2016 in Berlin wurde das Symposium „Medikalisierung sozialer Probleme“ abgehalten. Initiiert wurde das Symposium von Wolfgang Schneider (Universitätsklinik Rostock), welcher gemeinsam mit Harald Gündel (Universitätsklinikum Ulm) den Vorsitz hatte.

Schneider leitete das Symposium ein mit einem Überblick zum Thema „Medikalisierung, Mechanismen, Motive und damit verbundene Probleme für die Gesellschaft und Individuen“. Diskutiert wurden u. a. das Spannungsfeld ärztlichen Handelns bei der Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit und die Abgrenzung medizinischer vs. gesellschaftspolitischer Problembewältigung.

Daten einer retrospektiven Querschnittsanalyse sozialmedizinischer Gutachten präsentierte Braungardt (Universitätsklinikum Rostock). Seit 1995 werden an der Klinik für Psychosomatik der Universitätsmedizin Rostock Rentenantragsteller, die sich im Widerspruchsverfahren befinden, begutachtet. Viele der Begutachteten sind zum Zeitpunkt der Begutachtung langzeitarbeitslos, sodass die Vermutung einer Medikalisierung sozialer Probleme aufkam. Etwa drei Viertel der Antragsteller wiesen sechs oder mehr somatische Diagnosen auf. Die Vorgutachter und die Gutachter der Klinik Rostock stellten bei 70 bis 85 % der Begutachteten jedoch eine vollschichtige Leistungsfähigkeit fest. Die Ergebnisse wurden dahingehend verstanden, dass soziale Probleme, z. B. im Sinne von Langzeitarbeitslosigkeit, zu Chronifizierungsprozessen führen können.

Wilfer (Universitätsklinik Rostock) stellte Ergebnisse einer Studie vor, die in Kooperation mit der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt wurde. In dieser Untersuchung wurden Hausärzte dazu befragt, wie sie mit sozialen Problemen ihrer Patienten umgehen. Bei etwa einem Viertel der Patienten zeigte sich, dass Arbeitslosigkeit und Belastungen am Arbeitsplatz im Vordergrund standen, und dass viele Hausärzte AU-Schreibungen ausstellen, obwohl im Kern kein medizinischer Bedarf besteht. Der Vortragende thematisierte die Frage des adäquaten Umgangs mit vorrangig sozialen Problemen im medizinischen Versorgungssystem. Nach der Feststellung des Status quo will die Arbeitsgruppe in weiterer Forschungsarbeit gemeinsam mit Behandlern Perspektiven entwickeln.

Zum Thema „Motivation, Krankheitsverlauf und Berufsunfähigkeit (BU) in der privaten Versicherungswirtschaft“ sprach Fliegner (Generali Deutschland AG, Hamburg). Es wurden Hintergrunddaten zur Entwicklung der Gründe einer Berufsunfähigkeit präsentiert, anschließend ging die Referentin auf das Problem der zumutbaren Willensanspannung und gesundheitliche Chronifizierungsprozesse vor dem Hintergrund eines Rentenbegehrens bzw. eines Rentenbezugs ein. Es wurde deutlich, dass der Rentenwunsch eines versicherten Kunden vielfach determiniert ist, wobei die Erkrankung(en) und gegebenenfalls daraus resultierende Leistungseinschränkungen häufig nicht den einzigen Grund darstellen. Die Beantragung von Rentenleistungen sowie der fortwährende Erhalt finanzieller Unterstützung ist motivational komplex und wird in seiner Vielschichtigkeit häufig nicht beachtet, hierbei spielen bewusste und unbewusste Motive eine Rolle. Es wurde dafür plädiert, den Aspekt der Motivation in Zukunft mehr in den Blickpunkt zu rücken. Zusammenfassend scheint die Tatsache, gegen Berufsunfähigkeit versichert zu sein, ein relevanter Faktor für den Krankheitsverlauf zu sein, die Forschung gibt bisher aber kaum zufriedenstellende Antworten. Wünschenswert wären eine interdisziplinäre Konzeption des Begriffes „zumutbare Willensanspannung“ durch Psychologen, Ärzte, Juristen, Philosophen u. a. und der Aufbau einer empirischen Datenbasis auf dem Weg zu einer „evidenzbasierten Begutachtung“, sowie bereits jetzt eine differenzierte Beurteilung der Motivation in Gutachten (nach derzeitigem Wissenstand).

Das Symposium traf auf starkes Interesse, was sich u. a. an der zahlreichen Teilnahme zeigte. Insbesondere das Thema Berufsunfähigkeit wurde interessiert aufgenommen und führte zu angeregten Nachfragen und einer produktiven Diskussion. Mit dem Symposium konnte der begonnene Dialog zwischen Versicherungswirtschaft und Gutachtern weiter fortgesetzt und vertieft werden. Der Austausch dient der Verbesserung der Gutachtenqualität und der Transparenz von Arbeitsweisen und Gütestandards in der privaten Versicherungsbranche. Hochwertige Gutachten dienen einer schnelleren und gerichtsfesten Entscheidung im Rahmen der Leistungsprüfung, Transparenz und Nachvollziehbarkeit erhöhen die Akzeptanz beim Kunden und helfen, die öffentliche Kritik am Gutachterwesen zu entkräften.

Maike Fliegner, Hamburg 

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