Presting, Claire-Kathrin,
Berlin 2022 (Duncker & Humblot), zugleich Diss. Freiburg 2021, 237 S.,
ISBN 978-3-428-18572-6
Das anzuzeigende Werk hat ein seit Jahren immer wieder erörtertes und nach wie vor aktuelles Thema zum Gegenstand (vgl. nur den Terminbericht des BSG über seine Sitzung vom 6.5.2021 zu Nr. 1).
Die klare und ausführliche Gliederung überzeugt mit 1. Erfassung psychischer Erkrankungen … nach aktuellem Stand, 2. Analyse …, 3. Lösungsansätze und 4. Zusammenfassung. Ergänzt durch das Sachwortverzeichnis ist so jedem eine schnelle Orientierung im gesamten Text möglich, die durch Zwischenergebnisse auf den verschiedenen Gliederungsebenen noch verstärkt wird.
Die Ausführungen im 1. Kapitel zu „psychische(n) Erkrankungen als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung nach aktuellem Stand“ (S. 21 – 138) geben diesen ausgehend von der Rechtsprechung des BSG und unter Heranziehung der Literatur zutreffend wieder. Die in einer solchen Arbeit zu erwartende kritische Sicht der Autorin auf die derzeitige Rechtslage erscheint im Ergebnis etwas zu düster: Die in der Arbeit immer wieder erörterte PTBS wirft bei einem klaren Trauma, wie z. B. einem Banküberfall, hinsichtlich der Anerkennung als Arbeitsunfall für die Bankangestellten grundsätzlich keine Probleme auf.
Das 2. Kapitel „Analyse im Hinblick auf Gründe für eine umfangreichere Erfassung psychischer Erkrankungen in der gesetzlichen Unfallversicherung“ (S. 139 – 181) beginnt zurecht mit den Grundprinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung, wie insbesondere der Haftungsersetzung und dem sozialen Schutzprinzip. Der Auffassung, die Leistungen der Prävention für arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren sowie der Rehabilitation in Form von fünf probatorischen Sitzungen schon vor Feststellung eines Versicherungsfalls stellten „Systembrüche“ dar, kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn die Prävention hat seit Schaffung der gesetzlichen Unfallversicherung nach den gesetzlichen Vorgaben die Aufgabe, den Eintritt eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit zu verhüten (§§ 78 ff. UVG von 1884, §§ 1, 14 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die fünf probatorischen Sitzungen können demgemäß auch der Prävention zugeordnet werden, die unabhängig von dem Vorliegen eines Versicherungsfalls ist, zudem setzen Leistungen der Rehabilitation nicht zwingend einen Versicherungsfall voraus (vgl. § 3 BKV).
Im 3. Kapitel „Lösungsansätze“ (S. 182 – 205) werden solche im Hinblick auf Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten vorgestellt und bewertet. Dazu nur kurz: Dass die Ermittlung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes nicht als zielführend angesehen wird (S. 191 f.), überzeugt nicht. Denn der wissenschaftliche Erkenntnisstand über die in Frage kommenden Ursachen und deren Zusammenhang mit der geprüften Erkrankung ist die entscheidende Voraussetzung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit, wie der Vergleich mit den in den letzten Jahren erfolgten Bezeichnungen und der ihnen zugrunde liegenden Empfehlungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales zeigt (vgl. z. B. zur neuen BK Nr. 4116 Passivrauchen in GMBl. 2019, 399 ff.). Neuerliche Änderungen hinsichtlich der gerade erst reformierten Arbeit des Ärztlichen Sachverständigenbeirats (Gesetz vom 12.6.2020, BGBl I S 1248; Geschäftsordnung vom 8.6.2021) erscheinen ebenso wenig hilfreich.
Trotz dieser einzelnen Kritikpunkte ist die Arbeit für medizinische Sachverständige und deren wissenschaftliche Diskussion von Bedeutung und zum Lesen zu empfehlen: Denn sie gibt einen sehr systematischen und gut verständlichen Überblick über die derzeitige Rechtslage zu psychischen Erkrankungen als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung. Zudem zeigt sie exemplarisch anhand der Ausführungen zum „Missverständnis … Gesundheits-„erst“-schaden bei der PTBS“ (S. 72 ff.) wie wichtig der medizinische und wissenschaftliche Diskurs zu strittigen Aspekten ist – gerade im MedSach.
Prof. Dr. Peter Becker, Kassel