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Editorial

Durch den Einschub eines Schwerpunktheftes zu aktuellen Fragen der Psychotraumatologie beginnt die Wiedergabe der Manuskripte zu den Vorträgen des Heidelberger Gesprächs 2019 erst in diesem Heft. Leitthema der Tagung war die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung auf der Grundlage zunehmend standardisierter wissenschaftlicher Methoden, die eine in der Qualität gleichbleibende und für alle Beteiligten nachvollziehbare gutachtliche Beurteilung ermöglichen sollen. Zu dieser Problematik haben sich bereits verschiedene Autoren in dieser Zeitschrift in den letzten Jahren geäußert, die Eingabe „Leistungsbeurteilung“ als Suchwort im Archiv auf unserer Homepage erbringt über 40 Treffer. Mit den physiologischen Grundlagen der Beurteilung befasst sich der erste Beitrag dieser Ausgabe von Hartmann, zur praktischen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung folgen Ausführungen von Moser. Mit der Beurteilung von Beeinträchtigungen durch psychische Störungen unter Verwendung des Mini-ICF-Apps beschäftigt sich der nachfolgende Beitrag von Muschalla.

Der Hinweis in ihrem Beitrag zur Beachtung auch eines Motivationsbias streift die Bedeutung der zu begutachtenden Person selbst in ihrem Einfluss auf die gutachtliche Beurteilung, die Individualität dieser untersuchten Person sollte also in allem Bemühen um wissenschaftliche Beurteilungsgrundlagen nicht aus dem Auge verloren werden. In einem schon älteren Beitrag aus der Ausgabe 1 des Jahres 1994 dieser Zeitschrift hatte sich der ehemalige Frankfurter Ordinarius für Psychiatrie H. J. Bochnik zu „Person und Krankheit: zur psychiatrischen Begutachtung des verminderten Leistungsver­mögens“ geäußert: „Die Person als leidens- und leistungsmindernder Faktor wird diagnostisch und gutachterlich häufig übersehen oder zumindest unterschätzt. Die Folge sind unnötige Sozialgerichtsstreite und die Störung des Rechtsfriedens“. Weiter: „Die Person kann Ursache oder Teilursache von Krankheiten sein, sie kann Krankheitsfolgen mindern, verschlimmern, und sie kann auf sehr unterschiedliche Weise mit Krankheit umgehen“. Und schließlich: „Während bei der wissenschaftlichen Tätigkeit die Opferung der Individualität zur befriedigenden Reinheit der Regel­erkenntnis führt, ist das Erkenntnisziel des Gutachters grundsätzlich anders. Er muss immer die Beziehung der tragenden Person zu ihrer Krankheit ganz konkret berücksichtigen. Eine Behinderungsanalyse setzt voraus, dass jede Behinderung eine Interaktion typischer krankheitsbedingter Störung mit kompensierenden und dekompensierenden Kräften der tragenden Person in biologischen, psychischen, personalen und sozialen Bereichen in Zusammenhang steht“. Auch der anschließende Beitrag von Bartoschek zum Umgang mit schwierigen Patienten hat letztlich genau eine solche Betrachtung der Person zum Inhalt.

Diese Ausgabe der Zeitschrift wird abgeschlossen mit einem Beitrag von Koch von der Unfallversicherung SUVA aus unserem Nachbarland Schweiz, wobei die hierin angesprochenen Kausalitäts­fragen von Unfallschäden auch für Deutschland durchaus aktuell sind. Im Jahr 2015 trat in der Schweiz eine Änderung des Bundesgesetztes über die Unfallversicherung in Kraft. Durch das Gesetz sind die in der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmer, einschließlich der Heimarbeiter, Praktikanten, Volontäre und in Lehr- oder Behinderteneinrichtungen tätigen Personen versichert. Somit besteht eine gewisse Parallele zur gesetzlichen Unfallversicherung – und der Theorie der wesentlichen Bedingung – in Deutschland. Mit dieser Novellierung wurden auch Körperschäden in den Versicherungsschutz einbezogen, bei denen die Kausalität zwischen Unfall und Körperschädigung nicht im strikten Sinne gegeben ist. Letztlich spiegelt sich im revidierten Bundesgesetz der Wunsch des Gesetzgebers wider, den Versicherungsschutz für Beschäftigte weiter auszubauen. Vergleichbare Entwicklungen lassen sich auch in der gesetzlichen Unfallversicherung und dem sozialen Entschädigungsrecht in Deutschland beobachten. Verwiesen sei hier auf die Einbeziehung von Volkskrankheiten in den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen der Berufskrankheitenverordnung (degenerative Leiden von Wirbelsäule, Knie, Hüfte und Schulter) und die geplante Beweislastumkehr bei Traumafolgestörungen im sozialen Entschädigungsrecht.

Auch wenn die vorangegangene Ausgabe noch eine Ankündigung zum Heidelberger Gespräch für den September des Jahres beinhaltete, diese Veranstaltung kann durch Ursachen, die keinem Leser entgangen sein dürften, nicht stattfinden. Der Beirat der Tagung hatte ohnehin schon seit längerer Zeit darüber diskutiert, ergänzend zur Tagung zu jeweils aktuellen gutachtlichen Themen online sogenannte „Webinare“ anzubieten, und wird jetzt der aktuellen Situation Rechnung tragend in diesem Jahr damit beginnen. Über die Themen und die weiteren Umstände zu diesen Webinaren werden auf der Homepage des MedSach so bald wie möglich die interessierenden Informationen zu finden sein, weiter kann auch schon auf der Seite 153 dieser Ausgabe verwiesen werden.

Erste Gedanken dazu, was die Corona-Pandemie speziell für Gutachter und Versicherungssysteme als Auswirkungen bringen könnte, finden sich bereits von Thomann auf Seite 98 der Ausgabe 3 ­dieser Zeitschrift, weiter von ­Aßhauer unter „Meldungen“ auf der Homepage des MedSach unter dem Datum des 27.3.2020. Ein Hinweis auf ein Forschungsvorhaben der DRV schließt den Beitrag von Moser in dieser Ausgabe auf Seite 169 ab. Die Redaktion wird Fragen zu diesem Thema mit gutachtlichen Auswirkungen im Auge behalten und bei Gelegenheit dann erneut aufgreifen.

E. Losch, Frankfurt am Main