Herr Aßhauer greift in seiner Leserzuschrift einige wichtige Punkte auf, deren detaillierte Betrachtung im Rahmen eines Zeitschriftenartikels zu kurz gekommen sein mag, so dass wir sehr gerne die Gelegenheit nutzen, hierauf dezidierter einzugehen.
Der Ausdruck der „Gleichstellung“ von Psychologischen Psychotherapeuten mit Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie ist möglicherweise irritierend, begründet sich aber tatsächlich in der bereits von Herrn Aßhauer aufgeführten Erklärung über die Approbation und die damit erlangte Befugnis der „Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist“. Limitationen erfährt diese Gleichstellung u.a. in der Verordnung von Arzneimitteln, der Möglichkeit der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und nicht zuletzt in der vielfach geforderten, aber bislang nicht realisierten tariflichen Gleichstellung (welche allesamt im Rahmen der Begutachtung nicht relevant sind), so dass es sich selbstverständlich nicht um eine absolute Gleichstellung handelt, sondern eine, die auf die Approbation im Allgemeinen und den hiesigen Kontext der Begutachtung im Speziellen bezogen ist.
Bzgl. der „Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist“, haben auch wir vielfach die Erfahrung gemacht, dass z. B. die nicht mehr aktuelle Bezeichnung der sog. „psychiatrischen Diagnose“ dazu beiträgt, dass an alten – aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbaren – Vorstellungen festgehalten wird, dass bestimmte Diagnosen aus dem Kapitel V des ICD-10 einer psychotherapeutischen Behandlung nicht zugänglich seien. Die korrekte Bezeichnung der „psychischen und Verhaltensstörungen“, wie sie im ICD-10 Kapitel V vorgenommen wird, macht bereits deutlich, dass eine solche Unterscheidung von organischer vs. nicht-organischer Ätiologie nicht sinnvoll ist. Ergänzen ließe sich noch, dass gemäß der gängigen terminologischen Orientierung an modernen operationalisierten Diagnosemanualen wie ICD-10 oder DSM-5 lediglich psychische Störungen diagnostiziert werden können. Dementsprechend gibt es nur psychische Störungsdiagnosen, die allenfalls insofern psychiatrisch (oder psychologisch) werden können, als sie von Vertretern beider Berufsgruppen festgestellt (oder ausgeschlossen) werden können.
Von Herrn Aßhauer wird darüber hinaus die Notwendigkeit der „somatischen Abklärungen“ angemerkt und eine Erklärung der Begründung aufgeführt, mit der wir ebenfalls uneingeschränkt übereinstimmen. Es gehört zu einem lege artis durchgeführten diagnostischen Prozess, auch mögliche somatische (Mit-)Bedingungen in Erwägung zu ziehen bzw. auszuschließen. Das trifft auch auf den Begutachtungsprozess zu. Neben dem von Herrn Aßhauer erwähnten nachvollziehbaren Beispiel der organisch begründeten psychischen Erkrankung wäre hier als ein weiteres Beispiel eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis zu nennen. Gemäß S3-Behandlungsleitlinie sind bei jeder Erstmanifestation auch Zusatzuntersuchungen wie z. B. bildgebende Verfahren durchzuführen. Dies mag im ersten Moment nahe legen, dass in solchen Fällen der Psychiater als Gutachter bevorzugt werden sollte. Bei näherer Betrachtung muss man jedoch berücksichtigen, dass auch ein sachverständig tätiger Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ggf. auch für Neurologie kaum die Möglichkeiten hat, ohne Hinzuziehen eines Kollegen z. B. eine Magnetresonanztomographie durchzuführen. Selbst Laboruntersuchungen werden üblicherweise an niedergelassene Kollegen beauftragt. Ein Psychologischer Psychotherapeut und/oder Rechtspsychologe würde das ebenso tun, so dass auch hier keine fachlich begründete Unterscheidung Sinn macht.
In der Literatur ist überdies immer wieder zu lesen, dass es auch Fragestellungen gebe, für die der Psychologe als geeigneter angesehen wird als der Arzt, wie z.B. die Diagnostik von Intelligenzminderungen oder Persönlichkeitsstörungen, bei denen testpsychologische Verfahren durchgeführt werden sollen. Hier ist es mittlerweile schon lange übliche Praxis, dass ärztliche Sachverständige bei psychologischen Kollegen entsprechende Zusatzgutachten in Auftrag geben – ein Vorgehen, dass uns auch im umgekehrten Falle von notwendigen ärztlichen Untersuchungen bei Gutachten, die von Psychologen durchgeführt werden, sinnvoll erscheint. Die Qualifikation, die Notwendigkeit für Zusatzuntersuchungen erkennen zu können, haben alle hier aufgeführten Professionen im Rahmen ihrer Aus- und Weiterbildungen erworben.
Als Fazit sollte unseres Erachtens stehen, dass zur Erstellung von den hier in Frage stehenden Gutachten Psychologische Psychotherapeuten, Rechtspsychologen und Fachärzte für Psychiatrie (und Psychotherapie) gleichermaßen qualifiziert sind, sofern sie forensische Erfahrung haben, ihre Grenzen kennen und entsprechend Kollegen mit einbeziehen, die für isolierte Teilfragestellungen des Begutachtungsprozesses wichtige Zusatzinformationen liefern können. An dieser Stelle sei auch auf die immer wieder diskutierte Frage verwiesen, dass es keinen sog. Approbationsvorbehalt für die forensische Begutachtung gibt, der nicht approbierte Psychologen von der Beantwortung gutachterlicher Fragen prinzipiell ausschließt [1]. Wie ausgeführt ist die zwingend notwendige Voraussetzung forensischer Sachverstand – was im Übrigen sowohl auf ärztliche als auch psychologische Sachverständige zutreffen
sollte.
Wir bedanken uns bei Herrn Aßhauer für seine Anmerkungen, die fachlich fundierten Erläuterungen und die Gelegenheit, wichtige Aspekte noch dezidierter ausführen zu können und hoffen, gemeinsam dazu beizutragen, dass Synergien besser genutzt werden.
Literatur
1 Okulicz-Kozaryn M, Schmidt AF, Banse R: Worin besteht die Expertise von forensischen Sachverständigen, und ist die Approbation gemäß Psychotherapeutengesetz dafür erforderlich? Psychologische Rundschau (2019), 70(4): 250–258
Anschrift für die Verfasser
Dipl. Psych. Sonja Dette
Fachpsychologin für Rechtspsychologie BDP/DPGs
Klinik Nette-Gut für Forensische Psychiatrie
Am Nette-Gut 2
56575 Weißenthurm