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Zum Beitrag von A.Rambow: „Bemessung der Invalidität nach Nierentransplantation“ in MedSach 6/2021:248

Die Kasuistik zur Bemessung der Invalidität nach Nierentransplantation infolge eines Unfallereignisses, bei dem es zu Hüftgelenksverletzungen beiderseits kam, welche notfallmäßig operationspflichtig waren und in deren Folge eine vorbestehende teilkompensierte chronische Niereninsuffizienz in eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz überging, ist für das Gebiet der Privaten Unfallversicherung vom Verfasser sehr gut aufgearbeitet und gutachterlich relevant!

Der Votierung bezüglich der unfallbedingten Invalidität aufgrund der mittelbaren Unfallfolgen an den Nieren nach Hüftgelenksoperationen beiderseits kann übereinstimmend mit dem Autor bei fehlenden Einschätzungsempfehlungen in der aktuellen Begutachtungsliteratur außerhalb der Gliedertaxe mit 30 % zugestimmt werden. Diskussionswürdig ist im zu beurteilenden Einzelfall die Vorinvalidität.

Dem Artikel folgend bestand bei dem 56-jährigen Versicherten eine teilweise kompensierte chronische Niereninsuffizienz mit einem Kreatininwert von 1,8 mg/dl im Februar 2020 vor dem Unfallereignis vom April 2020. Angaben zur glomerulären Filtrationsrate in ml/min lagen dem Gutachter offensichtlich nicht vor. Unter Berücksichtigung des gesicherten Kreatininwertes von 1,8 mg/dl bestand somit eine chronische Niereninsuffizienz Stadium 1 – 2 vor dem zu beurteilenden Unfallereignis.

Damit hat ein manifester Vorschaden bei behandlungspflichtiger, teilweise kompensierter, chronischer Niereninsuffizienz vorgelegen, weitere Angaben lagen dem Gutachter nicht vor. Die Ermittlung der Behandlungsunterlagen betreffs einer zu berücksichtigenden Vorinvalidität obliegt dem Versicherer, grundsätzlich nicht dem Gutachter, welcher nicht selten bei dieser Aufgabe um Unterstützung gebeten wird, wobei der Datenschutz und die Schweigepflicht zu beachten sind.

Insofern war zu beurteilen, was aktenkundig durch den Versicherer für die Begutachtung ermittelt wurde. Aufgrund der gesicherten, teilweise kompensierten, chronischen Niereninsuffizienz mit einem Kreatininwert von 1,8 mg/dl ist von einer Vorinvalidität auszugehen. Wird durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen, die schon vorher dauernd beeinträchtigt war, so wird ein Abzug in Höhe dieser Vorinvalidität vorgenommen (§ 7 I 3 AUB 88, Ziff. 2.1.2.2.3 AUB 99). Wenn eine vorbestehende Funktionsstörung an den Nieren vorlag, hier eine teilkompensierte chronische Niereninsuffizienz, ist die Vorinvalidität in gleicher Weise, wie die Invalidität zu bemessen.

Eine substantiierte Beurteilung der Vorinvalidität ist aber nur möglich, wenn in Vorbereitung des Gutachtens aussagefähige ältere Befundberichte, im vorliegenden Fall zu den Nierenretentionsparametern, insbesondere zur glomerulären Filtrationsrate und zu den Kreatininwerten, sowie zum klinischen Verlauf und zu vergesellschafteten Grunderkrankungen, wie Diabetes mellitus und Hypertonie, ermittelt wurden. Liegen valide Angaben, wie im vorliegenden Fall, nicht vor, entfällt die Einschätzung einer Vorinvalidität.

Werden diese Behandlungsunterlagen durch den Versicherer aber vorgelegt, ist die Einschätzung einer Vorinvalidität zu diskutieren, was mit unserem Kommentar zu der fachlich nachvollziehbaren Kasuistik angeregt werden soll.

Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. med. Roland Cyffka
MR Prof. Dr. sc. med. Thomas Müller
Medizinisches Gutachteninstitut Döbeln
Bahnhofstraße 32
04720 Döbeln

Antwort des Verfassers:

Den Verfassern sei insbesondere für Ihren Hinweis auf die Schwierigkeiten gedankt, die sich bei der Bemessung einer Vorinvalidität bei vorbestehender teilkompensierter Niereninsuffizienz ergeben können.

Zur Vorgeschichte, Entwicklung und Ausprägung der Niereninsuffizienz lag lediglich ein Attest des Hausarztes vor. Danach betrug der Kreatininwert 2 Monate vor dem Unfallereignis ca. 1,8 mg/dl, die Werte der harnpflichtigen Substanzen wurden nicht mitgeteilt, die GFR wurde weder gemessen noch abgeschätzt. Als wesentliche Diagnose wurde eine Adipositas permagna ohne Angabe des BMI angegeben mit dem Hinweis, „Körpergewicht 160 Kg“. Versuche, weitere Daten/Angaben vom Versicherer zu erhalten, blieben erfolglos.

In der täglichen Praxis wird die GFR normalerweise nicht gemessen, sondern mithilfe von Rechenprogrammen geschätzt (estimated GFR, kurz eGFR) anhand der CKD-EPI-Formel. Für diese (und andere) Schätzformeln bestehen jedoch wichtige Limitationen (Galle, 2016):

  • die Genauigkeit der Formeln ist begrenzt (ca. +/− 30 %);
  • sie sind nur im steady state valide und dürfen bei rasch steigendem/sinkenden Serumkreatinin (akute Niereninsuffizienz oder Erholung davon) nicht verwendet werden;
  • neben der Nierenfunktion, dem Alter und Geschlecht (in der Formel berücksichtigt) haben auch andere Faktoren einen Einfluss auf das Serumkreatinin, insbesondere die Muskelmasse- und damit das Körpergewicht (Seibert, 2020).
  • Die für die Kreatiningenerierung relevante Muskelmasse steigt aber nicht linear mit dem Körpergewicht an. Bei übergewichtigen Patienten mit einem BMI > 30 ist daher eine Umrechnung der Einheiten von ml/min/1,73 m² auf ml/min erforderlich. Hierfür muss die Körperoberfläche bekannt sein, die rechnerisch ermittelt werden muss, z. B. mit der Formel nach Mosteller. Diese erfordert die Kenntnis der Körpergröße des Patienten die aber bei dem hier vorgestellten Fall unbekannt ist.

    Eine belastbare Beurteilung des klinischen Verlaufes der teilkompensierten Niereninsuffizienz war somit ebenso wenig möglich wie die Ermittlung der eGFR und damit des Stadiums der vorbestehenden Nierenerkrankung. Aus diesem Grunde wurde auf eine Bemessung der Vorinvalidität verzichtet.

    Sollten vorgelegte Befunde jedoch eine suffiziente Beurteilung einer vorbestehenden teilkompensierten Niereninsuffizienz ermöglichen, so muss diese, wie von den Herrn Profs. Cyffka und Müller ausgeführt, selbstverständlich bei der Gesamtbemessung der Invalidität berücksichtigt werden.

    Literatur

    1 Galle J (2016): Glomeruläre Filtrationsrate: Fallstricke der Berechnung
    Deutsches Ärzteblatt. DOI: 10.3238/PersUro2016.08.22.01

    2 Seiberth S et al (2020): Accuracy of freely availabel online GFR calculators using the CKD-EPI equation European Journal of Clinical Pharmacology, 76:1465-1670

    Anschrift des Verfassers:

    Dr.med. Axel Rambow
    Institut für Versicherungsmedizin
    Am Lindenbaum 6 a
    60433 Frankfurt

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