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Zum Beitrag von K.Dresing et al.: „Zur Diskussion: Konsentierte Synopse über Bemessungs­empfehlungen für muskuloskelettale Verletzungsfolgen in der Privaten Unfallversicherung“; in MedSach 118 1/2022, 10ff.

Klemm HT/, Wich M1/, Willauschus W1/, Hein M1/, Hanusa C1/, Hempfling H1/, Meyer-Clement M1/, Mohing M1/, Konkel T1/, Fuhrmann RA1/, Ludolph E1/

Die Fachgesellschaft Interdisziplinäre Medizinische Begutachtung e. V. (FGIMB) arbeitet seit Anfang 2021 an konsentierten Bemessungsempfehlungen für die private Unfallversicherung in einem mehrwelligen Delphiverfahren unter Einbezug der beteiligten Fachgesellschaften, Juristen, Mediziner, dem GDV sowie dem BDV. Am 12. Februar 2021 wurde die Sektion Begutachtung der DGOU durch die FGIMB e. V. eingeladen, an der interdisziplinären Erarbeitung mitzuwirken. Mit Schreiben vom 19. Februar 2021 lehnte Herr Prof. Dr. Dresing aus dem Sektionsvorsitz eine Mitarbeit in diesem interdisziplinären Gremium mit dem Hinweis ab, dass man sich allein damit beschäftigen wolle. Während die FGIMB noch in der Diskussion steht, liegt nun ein von 9 Mitgliedern der Sektion „konsentiertes“ Schriftstück vor, was sich bei näherem Hinschauen leider als intransparenter Schnellschuss mit vielen Fehlern darstellt.

Warum kann man Bemessungsempfehlungen nicht gemeinsam entwickeln und mit einer Stimme sprechen, statt dass man ärztliche Sachverständige und Mitarbeiter der privaten Versicherungswirtschaft nun bei der Anwendung nur verunsichert. Die Komplexität der Invaliditätsbemessung kann man nicht in einer Zeitschrift diskutieren, das muss zuvor in möglichst großer und interdisziplinärer Runde geschehen, alle davon Betroffenen/daran Beteiligten müssen an diesem Prozess mitarbeiten und am Ende kann man ein weitgehend konsentiertes Papier vorstellen, was dann den Namen auch verdient. Es wird zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich noch nicht perfekt sein, denn aus der täglichen Anwendung wird sich im weiteren Verlauf ggf. Korrekturbedarf ergeben.

Um nur einige Kritikpunkte zu thematisieren sei darauf hingewiesen, dass zwar allgemeine Gutachtenliteratur als Bezugspunkt angegeben wurde, übernommen wurden jedoch weitestgehend die Tabellen von Schröter und Ludolph, die von diesen seit deren konsentierter Einführung durch die DGU und DGOU 2009 in annähernd allen Standardwerken zur Begutachtung veröffentlicht wurden. Die Sektion Begutachtung macht sich diese Tabellen zu eigen, obwohl es allgemein üblich ist, immer die Originalarbeit, also die ursprüngliche Quelle zu zitieren.

Bereits im ersten Absatz setzt das Autorenkollektiv der Sektion Begutachtung die Beeinträchtigung der „körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit“, die außerhalb der Gliedertaxe zu bemessen ist, der „Funktionsbeeinträchtigung“, die innerhalb der Gliedertaxe zu bemessen ist, gleich. Diese Vermengung der beiden Tatbestände belegt nach unserer Auffassung, dass die Autoren sich im Bedingungswerk der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen nicht zurechtfinden, hier auch auf die AUB 2014 und nicht auf die gültigen AUB 2020 abstellen, was den unbedarften Leser des Artikels verwirren muss. Warum stellt man ausschließlich auf muskuloskelettale Folgen ab, bemisst dann aber z. B. Nervenschädigungen und Thrombosefolgen?

Nicht nachvollziehbar und nicht erklärt ist der Sinneswandel der Co-Autoren Thomann und Gaidzik. Diese haben in der Publikation zu Arthrosefolgen (Klemm et al., 2015) gegen einen pauschalierten Arthrosezuschlag votiert, wollen ihn jetzt aber - ohne jeden Kommentar - wieder einführen. Nicht einmal erwähnt ist die Tatsache, dass nach BGH-Rechtsprechung Funktionsstörungen im Schulterbereich außerhalb der Gliedertaxe zu bemessen sind und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

Nun zu einigen wenigen praktischen Beispielen: Beim Ellenbogengelenk in Tabelle 1 spricht man von einer Versteifung in gebrauchsgünstiger Stellung (ohne diese zu benennen) und schließt die Aufhebung der Unterarmdrehung mit ein. Einen Grund dafür erfährt man nicht und auch nicht die Drehstellung des Unterarmes, in der er versteift ist (Pronation, Neutralstellung oder Supination). Ein Betroffener mit zwischen 70 und 90° Beugung versteiftem Ellenbogengelenk (Klemm et al., 2020) sowie Versteifung der Unterarmdrehung in Supination ist doch wesentlich schlechter gestellt als ein Betroffener mit gleichem Versteifungsbefund in Pronation. Dazwischen liegen Welten! Das kann man nicht gleichsetzen und das betrifft auch den alleinigen Verlust der kompletten Unterarmdrehfähigkeit in Tabelle 4. Entscheidend ist, in welcher Stellung die Drehfähigkeit des Unterarms aufgehoben ist.

Diese Unterschiede sind seitens ausgewählter Funktionen zur besseren Vorstellung in der folgenden Bilderserie dargestellt:

Diese Diskussion könnte man nun weiter fortführen bzgl. einzelner Invaliditätswerte aber auch der Interpretation der BGH-Rechtsprechung und der Bedienung aus Schönberger/Mehrtens/Valentin (Schönberger et al., 2016) bei Unfallfolgen an der Wirbelsäule, ohne auch hier die Quelle zu benennen, wo man dann MdE-Werte der Invalidität gleichsetzt. Wie eingangs schon erwähnt, würde eine detaillierte Auseinandersetzung mit all diesen Punkten aber den Rahmen eines Leserbriefs sprengen.

Fazit: Nehmen Sie bitte zukünftige Einladungen zur Zusammenarbeit an, damit wir an einem Strang ziehen und mit einer Stimme sprechen können und nicht die Anwender von Bemessungsempfehlungen verwirren.

Literatur

1 Klemm, H. T., Spahn, G., Gaidzik, P. W., Thomann, K. D., Hartmann, B., Grifka, J., & Hofmann, G. O. (2015). Versicherungsrechtliche Prognosebeurteilung des Arthroserisikos nach vorderer Kreuzbandverletzung in der privaten Unfallversicherung. MedSach, 111(6), 272-279.

2 Klemm, H. T., Wittchen, V., Willauschus, W., Fuhrmann, R. A., & Hohendorff, B. (2020). [Joint arthrodesis in functionally favorable position : Considerations on measurement of disability in private accident insurance]. Unfallchirurg, 123(12), 988-998. https://doi.org/10.1007/s00113-020-00913-4 (Gelenkversteifung in gebrauchsgünstiger Stellung : Überlegungen zur Invaliditätsbemessung in der privaten Unfallversicherung.)

3 Schönberger, Mehrtens, & Valentin. (2016). Arbeitsunfall und Berufskrankheit (9 ed.). Erich Schmidt Verlag.

Abkürzungen

BDV Bund der Versicherten

DGOU Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie

DGU Deutsche Gesellschaft für Unfall­chirurgie

FGIMB Fachgesellschaft Interdisziplinäre ­Medizinische Begutachtung

GDV Gesamtverband der Deutschen ­Versicherungswirtschaft

Antwort für die Verfasser:

„Die Sektion Begutachtung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie bedankt sich bei den Autoren des Briefes. Die Sektion hat einen Vorschlag erarbeitet, der explizit zur Diskussion innerhalb und außerhalb der wissenschaftlichen Fachgesellschaft anregen soll. Der weitere Diskurs kann nun beginnen. Wir freuen uns auf diesen.“

Abb. 2: Aufhebung der Unterarmdrehung in Neutralstellung

© Dr. Klemm

Abb. 2: Aufhebung der Unterarmdrehung in Neutralstellung
Abb. 3: Aufhebung der Unterarmdrehung in Supination

© Dr. Klemm

Abb. 3: Aufhebung der Unterarmdrehung in Supination

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. H. Klemm
FIMB
Ludwigstr. 25
95444 Bayreuth

Anschrift für die Verfasser:

Sektion Begutachtung der DGOU
Straße des 17.Juni 166-108
10623 Berlin

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