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Zum Beitrag von von A. Rambow: „Bemessung der Invalidität nach Nierentransplantation“ in MedSach 117 6/20211

Zunächst unser Dank an den Autor des oben genannten Beitrags, der die Schwierigkeit der Bemessung der Invalidität in der Privaten Unfallversicherung aufzeigt und dies insbesondere im Hinblick auf die Prognosebeurteilung.

Nach der verständlicherweise knappen Fallschilderung ist zu erfahren, dass bei einem Unfallverletzten innerhalb von 24 Stunden 2 Hüftgelenksoperationen erfolgen mussten und es damit im zeitlichen Zusammenhang zu einem schnellen Anstieg der Retentionsparameter kam mit schließlicher Notwendigkeit der Dialysebehandlung. Vorbestehend seien verschiedene internistische Erkrankungen und hier insbesondere eine teilkompensierte chronische Niereninsuffizienz bekannt gewesen.

Aufgrund der Dialysepflicht war in einem ersten Gutachten die Invalidität mit 100 % außerhalb der Gliedertaxe beziffert worden. Der Versicherer fragte dann nach, welche Invalidität der Höhe nach mindestens verbleiben würde, wenn man einen guten Verlauf nach Nierentransplantation unterstellen könnte.

Die Schwierigkeit der Beurteilung dieser prognostischen Aussichten darf den Gutachter nicht dazu verleiten, sich mit den zum Unfallzeitpunkt bestehenden funktionellen Beeinträchtigungen aufgrund von Krankheiten oder anderen Unfallverletzungsfolgen zu beschäftigen. Die Invalidität bei Nierenverlust oder -funktionsstörung oder eben -transplantation ist außerhalb der Gliedertaxe zu bemessen und insofern ist die Kenntnis darüber wichtig, welche internistischen Erkrankungen noch vorlagen und die körperliche Funktion außerhalb der Gliedertaxe eventuell herabsetzten. Zweifelsfrei ist lediglich angegeben eine teilkompensierte chronische Niereninsuffizienz. Daraus allein ist nach den gemachten Angaben nicht zwingend auf eine Vorinvalidität zu schließen.

Es stellt sich aber die Frage, ob ein ansonsten zumindest nierengesunder Unfallverletzter nach den hier offensichtlich unfallbedingt notwendig gewordenen Hüftgelenksoperationen auch dialysepflichtig geworden wäre?

Diese Frage dürfte mit nein zu beantworten sein, und insofern muss im Sinne der Partialkausalität geprüft werden, inwieweit die zum Unfallzeitpunkt teilkompensierte chronische Niereninsuffizienz anteilig an der Dialysepflicht mitgewirkt hat. In Kenntnis der Informationen zur Entwicklung der Niereninsuffizienz wird der Mitwirkungsanteil aber wohl kaum unter 50 % zu begründen sein.

Der Versicherer muss nun abwägen, welche Invaliditätsleistung er bis zum Ende des versicherungstechnisch spätmöglichsten Zeitpunkt reserviert und welche Invalidität er im Sinne einer Bevorschussung unbedenklich wird regulieren können. So fragt er nach dem bestmöglichen Ausheilungszustand nach möglicher Nierentransplantation.

Um die Frage beantworten zu können, überlegt sich der Autor, welche Parameter nach erfolgreicher Nierentransplantation relevant sein könnten. Hier benennt er die Verkürzung der Lebenserwartung und zitiert Literatur, woraus er ableitet, dass ca. 1/3 von nierentransplantierten Patienten innerhalb von 10 Jahren versterben. Dies ist aber für die Prognosebeurteilung nicht berücksichtigungswürdig, denn wenn ein früheres und eventuell auch teilweises unfallbedingtes Ableben möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich ist, so ist dies zumindest nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit vorauszusagen. Außerdem muss die Frage beantwortet werden, wie sich ansonsten die teilkompensierte chronische Niereninsuffizienz entwickelt und eventuell auch zu einem früheren Ableben geführt hätte. Dies ist gleichartig anzuwenden auf die Funktionsdauer des Transplantats.

Ein Fremdkörpergefühl – vom Autor bezeichnet als Störung der körperlichen Integrität – führt nicht zu einer Funktionsbeeinträchtigung, und nur darum geht es in der Privaten Unfallversicherung.

Nähert man sich dem schweren Komplex der Prognosebeurteilung, so muss man sich verinnerlichen, dass nach AUB die Invalidität dauerhaft sein muss, sie also voraussichtlich länger als 3 Jahre bestehen wird und dass eine Änderung des Zustands nicht erwartet werden kann. Es reicht also nicht, abzustellen auf möglicherweise oder nur einfach wahrscheinlich zu machende Entwicklungen bezüglich der Unfallverletzungsfolgen. Man muss die positive oder negative Entwicklung der Unfallverletzungsfolgen anhand von gewichtigen Gründen darstellen können, die Zweifeln an dieser Entwicklung Schweigen gebieten

Der Autor schreibt weiter, dass in den einschlägigen Handbüchern der Begutachtung keine Angaben zu Nierenfunktionsstörungen gemacht würden. Bestätigt werden kann das für die vom Autor angegebene Literatur von Mehrtens, der entgegen den Referenzangaben bereits in der 9. Aufl. existiert, und dem Titel entsprechend sich mit Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten befasst und nicht mit einer Invaliditätsbemessung in der Privaten Unfallversicherung.

Bei der vom Autor angegebenen Literatur von Lehmann wird man aber doch insofern fündig, dass dort zum Nierenverlust Stellung genommen wird. Es wird ausgeführt, dass der einseitige Nierenverlust keine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit zur Folge hat, einzelne Unfallversicherungen aber ohne den konkreten Nachweis einer Funktionsbeeinträchtigung einen Invaliditätsgrad bis zu 20 % zugestehen. Bei beidseitigem Nierenverlust und Dialysepflicht hänge die Invaliditätsbemessung davon ab, welche konkreten Funktionsdefizite vorliegen würden und wie häufig eine Dialyse notwendig sei. In dieser Literatur findet sich auch ein Querverweis zu den österreichischen Kollegen und hier findet man, dass die Invalidität bei Dauerbehandlung mit Dialyse mit 100 % zu bemessen ist und nach erfolgreicher Nierentransplantation anerkennt man hier eine Invalidität von 50 % außerhalb der Gliedertaxe.

Auch im Kursbuch der ärztlichen Begutachtung findet man ebenso Angaben zur Invaliditätsbemessung bei Nierenverlust, wo auch ähnliche Ausführungen z.B. zum Mitwirkungsanteil gemacht werden, dort aber betreffend ein Beispiel eines vorherigen Nierenverlusts. Zur Höhe des Invaliditätsgrades führt man aus, dass dies von den Funktionsausfällen und der Häufigkeit der Dialyse abhänge, zu einer Nierentransplantation nimmt man dort nicht Stellung.

Völlig zu Recht hat der Autor aus dem IVM in Frankfurt darauf hingewiesen, dass die Versorgungsmedizin-Verordnung als Orientierungshilfe ungeeignet ist. Deshalb zog man die „Guides to the Evaluation of Permanent Impairment“ heran und führt aus, dass dort die Invalidität nach verschiedenen Graduierungen zu bemessen ist. Diese Beurteilung von Beeinträchtigungen, Behinderungen und Handicaps (nicht Invalidität) stellt ab auf die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation und dort geht es eben auch um Fragen der Partizipation und der Limitierung von Aktivitäten. Bei der Invaliditätsbewertung geht es aber darum, die dauerhafte körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit zu beurteilen ohne allerdings zusätzliche Einschränkungen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Zusammenfassend muss man also nicht so weit in die Ferne schweifen, um Vergleichswerte für die Invaliditätsbemessung zu finden. Die Problematik der Höhe der zu bemessenden Invalidität zeigt aber auch, dass insbesondere ein interdisziplinärer Diskurs über solche Fragen geführt werden muss. Wenn also in Österreich eine erfolgreiche Nierentransplantation mit 50 % außerhalb der Gliedertaxe bemessen wird, so muss man dies mit anderen fachübergreifenden Werten vergleichen. Eine langstreckig operativ versteifte Wirbelsäule würde man nach den derzeitig Anerkennung findenden Bemessungsempfehlungen mit einer Invalidität von maximal 30 % außerhalb der Gliedertaxe bemessen. Ein Bauchdeckenbruch mit einer Art Landkartenbauchdecke mit grober muskulärer Insuffizienz würde eine Invaliditätsbemessung von 25 % nach sich ziehen.

Kann also eine Dialysepflicht durch eine implantierte Niere aufgehoben/verhindert werden, so erscheint beim Vergleich mit oben genannten Eckwerten die Invaliditätsbemessung mit 50 % außerhalb der Gliedertaxe doch etwas zu hoch und der Vorschlag von Herrn Rambow mit 30 % eher angemessen.

Unter Berücksichtigung der Mitwirkung der zum Unfallzeitpunkt bestehenden teilkompensierten chronischen Niereninsuffizienz in Höhe von 50 %, könnte man also aus Sicht der Unterzeichner dem Versicherer mindestens die verbleibende Invalidität in Höhe von 15 % angeben.

Zielführend kann sicherlich die Bildung einer Arbeitsgruppe im wissenschaftlichen Beirat der FGIMB mit den dort beteiligten Fachgesellschaften sein, die sich mit solchen Problemfällen in der Begutachtung beschäftigt und am Ende transparente und fachübergreifend konsentierte Invaliditätseckwerte angibt. Es ergeht Einladung an alle Interessierten.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. H. Klemm
FIMB
Ludwigstr. 25
95444 Bayreuth

für die weiteren Autoren

D.Jaspersen, H.Günther und E.Ludolph

Antwort des Verfassers:

Den Autoren sei für ihren ausführlichen Diskussionsbeitrag gedankt, der nochmals die Schwierigkeiten bei der Bemessung der Invalidität komplexer Krankheitsbilder außerhalb der Gliedertaxe unterstreicht, hier konkret am Beispiel einer Nierentransplantation.

Konsentierte Eckwerte fehlen. Der zitierten Monographie ist lediglich der Hinweis zu entnehmen, dass die Invaliditätsbemessung bei beidseitigem Nierenverlust und Dialysepflicht davon abhängig ist, welche konkreten Funktionsdefizite vorliegen. Im „Kursbuch der ärztlichen Begutachtung“ findet die Nierentransplantation keine Erwähnung.

Auch der Hinweis auf die österreichische AUB führt nicht weiter. Die Autoren vergleichen daher die Invaliditätswerte anderer fachübergreifender Krankheitsbilder mit der Invalidität nach Nierentransplantation im Sinne einer Extrapolation und ziehen hierzu konkret die Bewertung einer langstreckig operativ versteiften Wirbelsäule (Invalidität 30 %) respektive einen Bauchdeckenbruch mit grober muskulärer Insuffizienz (25 %) zum Vergleich heran. Diese Auswahl ist willkürlich und kann zu einer subjektiv geprägten Bemessung der Invalidität führen. Dieses Vorgehen halte ich daher nicht für geeignet, die Invalidität nach Nierentransplantation differenziert zu bemessen, insbesondere, wenn im Ergebnis nach Nierentransplantation der Allgemeinzustand des Betroffenen schlecht und die Kreatinin-Clearance chronisch reduziert ist. Eigene Erwägungen, die Invalidität nach Nierentransplantation ebenfalls im Vergleich zu anderen fachfremden Krankheitsbildern zu bemessen, habe ich daher fallen gelassen und stattdessen als objektiv nachvollziehbare Orientierungshilfe das sehr differenzierte Regelwerk der American Medical Association herangezogen. Dessen Vorgaben sind ggfls zu modifizieren.

Danach ist bei dem zu Beurteilenden die verbleibende Invalidität zunächst mit 19 % zu bemessen. Sekundärleiden (z.B. renale Hypertonie, renale Anämie, Polyneuropathie, Osteopathie, Hyperparathyreoidismus, Nebenwirkungen der immunsuppressiven Behandlung) sind zusätzlich zu bewerten. Ob diese nach Ablauf des 3. Unfalljahres vorliegen respektive in welcher Ausprägung, kann naturgemäß nicht belastbar abgeschätzt werden.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Axel Rambow
IVM
Am Lindenbaum
60433 Frankfurt am Main