Leitsatz:
Bei der Begutachtung eines aufwendigen und technisch schwierigen Operationsverfahrens mit zahlreichen Fehlermöglichkeiten (hier: Operation zur Neubildung eines Daumens – Pollizisation) bestehen Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen, die eine neue Begutachtung erforderlich machen, wenn der Sachverständige eine solche Operation selbst noch nie durchgeführt, sondern bei einer solchen lediglich vor vielen Jahren assistiert hat.
Aus den Gründen:
(1–4) … Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil das die Klage vollständig abweisende Versäumnisurteil vom 12.10.2009 zu Recht aufrechterhalten. …
(5) 1. Der Kläger konnte nicht beweisen, dass der Beklagte zu 2.) den Zeigefinger behandlungsfehlerhaft nicht im regelhaften Winkel am Daumenstumpf angesetzt hat, indem er den Zeigefinger auf ca. 110° eingestellt hat. Zwar wäre ein Operationsergebnis, bei dem der Neudaumen um 10 bis 20° weiter, bei 130°, angesetzt worden wäre, optimaler gewesen. Dass die fehlenden 20° ein behandlungsfehlerhaftes Defizit darstellen, konnte der Kläger jedoch nicht zur Überzeugung des Senats beweisen.
(6) Zwar durfte sich das Landgericht bei der im Rahmen der Beweisaufnahme notwendigen Überzeugungsbildung nicht allein von den Feststellungen des Dr. W... in dessen Gutachten vom 28.08.2007 und auf dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2010 stützen, da Zweifel an der fachlicher Kompetenz des Sachverständigen bestanden. Denn Dr. W... hatte am 22.02.2010 angegeben, selbst noch nie eine Pollizisation durchgeführt, sondern bei der Durchführungen von solchen Operationen durch Prof. B... assistiert zu haben. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei der Pollizisation um einen äußerst seltenen Eingriff handelt, genügt diese Assistenz allein nicht für die Annahme der für eine Beweiswürdigung des Gerichts im Rahmen des § 286 ZPO erforderlichen Sachkunde des Sachverständigen. Zum einen lag die Assistententätigkeit des Sachverständigen bei seiner Anhörung vor dem Landgericht mindestens 18 Jahre zurück, da Prof. Dr. D... B... im Jahr 1992 in den Ruhestand getreten ist. Zum anderen ist dem mit Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 14.10.2009 eingereichten Aufsatz „Posttraumatische Daumenrekonstruktion durch Pollizisation des Zeigefingers“ (Operative Orthopädie und Traumatologie 1999, S. 97 bis 106) zu entnehmen, dass es sich bei der Pollizisation um ein aufwendiges und technisch schwieriges Operationsverfahren mit zahlreichen Fehlermöglichkeiten handelt. Vor diesem Hintergrund bedarf es nach Ansicht der Senats auch eigener operativer Erfahrung, um ärztliches Handeln bei Durchführung der Pollizisation überzeugend beurteilen zu können.
(7) Dennoch erweist sich die Berufung des Klägers in Bezug auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers wegen Nichteinhaltung eines regelhaften Winkels des Neodaumens im Ergebnis als unbegründet. Denn es bestehen keine klaren fachärztlichen Vorgaben dazu, in welchem genauen Winkel der Zeigefinger (Neodaumen) am Daumenstumpf anzusetzen ist
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Redaktionell überarbeitete Fassung eingereicht von P. Becker