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Punktewertung bei der Ermittlung von Pflegebedürftigkeit

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch um höhere Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung (nach Pflegegrad 2 statt nach Pflegegrad 1) seit Juni 2020.

Die im Oktober 1964 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert. Sie ist im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses an einem Tag wöchentlich für bis zu 9,25 Stunden an der Kasse eines Supermarktes tätig.

Am 27. November 2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen in Form von Pflegegeld. Als Pflegeperson gab sie ihren seinerzeitigen, inzwischen verstorbenen Ehemann an.

Im hierauf von der Beklagten veranlassten Gutachten des MDK vom 23. Januar 2018 schätzte der Gutachter, Pflegefachkraft W., 5 Gesamtpunkte (aufgrund von 5 gewichteten Punkten im Modul 5) und damit keinen Pflegegrad ein, woraufhin die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 29. Januar 2018 ablehnte.

Den hiergegen gerichteten, nicht näher begründeten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2019 zurück, nachdem der MDK durch die Gutachterin K. mit einem Gutachten vom 16. August 2018 das Ergebnis des Vorgutachtens bestätigt hatte. Als Pflegeperson wurde von der Klägerin nunmehr ihr im Jahr 1990 geborene Sohn A. angegeben.

Nachdem eine wirksame Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides nicht festgestellt werden konnte, wurde dieser am 07. August 2019 dem Cousin der Klägerin, ihrem seinerzeitigen Bevollmächtigten und jetzigen gesetzlichen Betreuer persönlich übergeben.

Am 20. August 2019 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Schwerin Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Pflegesachverständigen Wa. vom 13. Mai 2020, in welchem nach einem am 11. Mai 2020 durchgeführten Hausbesuch eine Gesamtpunktzahl von 18,75 seit Antragstellung und damit Pflegegrad 1 eingeschätzt wurde.

Die einzelnen Module hat Frau Wa. wie folgt bewertet:

An ihrer Einschätzung hat die Sachverständige trotz Einwendungen der Klägerin in ergänzenden Stellungnahmen vom 29. Juni 2020, 24. August 2020 und 19. Oktober 2020 festgehalten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens und der ergänzenden Stellungnahmen Bezug genommen.

Die Beklagte hat mit Teilabhilfebescheid vom 01. Juli 2020 die bei Pflegegrad 1 zustehenden Entlastungsleistungen rückwirkend ab November 2017 bewilligt und auch die Übertragung der Ansprüche für den gesamten zurückliegenden Zeitraum mit Möglichkeit der Inanspruchnahme bis zum 30. Juni 2021 zuerkannt.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung Leistungen nach dem Pflegegrad 2 zu erbringen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. Februar 2021 abgewiesen, nachdem es die Sachverständige im Termin ihr Gutachten im Beisein der Klägerin nochmals hat vortragen und erläutern lassen. Es hat zu Begründung den weitgehenden Inhalt des Gutachtens der Frau Wa., welches es für überzeugend halte, und daneben den Wortlaut der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften wiedergegeben. Weitere Einzelpunkte und damit weitere gewichtete Punkte seien trotz der Einwendungen der Klägerseite nicht zu berücksichtigen. So habe die Sachverständige beispielweise überzeugend dargelegt, dass das An- Auskleiden des Unterkörpers bei Verwendung einer sogenannten Einstiegshilfe selbständig möglich sei. Auch die klägerseits behauptete Einschränkung beim Halten einer stabilen Sitzposition sei nicht nachvollziehbar; sowohl während der gesamten Verhandlungszeit als auch während der nach eigenen Angaben ca. 9,25 Stunden in der Woche an der Kasse halte sich die Klägerin in einer sitzenden Position, ohne personelle Unterstützung zur Positionskorrektur zu benötigen. Im Ergebnis lasse sich nicht feststellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des Pflegegrades 2 vorliegen, weshalb die Klage, soweit sie nicht von der Beklagten anerkannt worden ist, abzuweisen sei.

Gegen das der Klägerin am 04. März 2021 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung von Montag, dem 06. April 2021, mit der sie ihr bisheriges Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung macht sie geltend, multimorbide zu sein und insbesondere an einem chronischen Schmerzsyndrom und einer Depression zu leiden. Sie hat zur Unterstützung ihres Vortrags u. a. ein Gutachten der Frau Dr. med. E., FÄ f. Allgemeinmedizin, ZB Klinische Geriatrie, für das Amtsgericht – Betreuungsgericht – A-Stadt vom 05. Juni 2021 zur Frage einer Betreuerbestellung zu den Akten gereicht. vorgelegt. Hierin wird u. a. Folgendes festgehalten:

„die Betroffene öffnet selbst die Haustür und bittet die SV ins Wohnzimmer, alles ist sehr sauber und aufgeräumt. Frau A. ist eine gepflegt aber körperlich angegriffen wirkende, etwas übergewichtige Frau, die auf der Ebene einigermaßen zügig gehen kann und nun im Wohnzimmer auf einem Sofa Platz nimmt und sich deutlich erschöpft und die Augen für einige Minuten schließend in die Kissen zurücklehnt.“

Im psychopathologischen Befund heißt es:

„wach, bewußtseinsklar und, bei groborientierender Prüfung, ausreichend orientiert. Die Betroffene ist zwar freundlich im Kontakt, wirkt dabei aber erschöpft und antriebsarm; die globalen Gedächtnisleistungen sowie Aufmerksamkeit und Auffassung erscheinen im 40minütigen Gespräch eher weniger beeinträchtigt. Die Stimmung ist gedrückt, die affektive Schwingungsfähigkeit vermindert, das Denken schmerzbezogen und depressiv eingeengt. Sichere Hinweise auf das Vorliegen von Wahn, Halluzinationen und Delir gibt es nicht.“

Die Klägerin hat zudem ein Attest ihres Hausarztes, Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. med. E., vom 22. Februar 2023 zu den Akten gereicht; in den Anlagen hierzu findet sich u. a. ein Bericht der rheumatologischen Ambulanz des Universitätsklinikums A-Stadt vom 31. Januar 2023. Hierin heißt es, dass bei der Klägerin eine Spondylarthritis mit peripherer Gelenkbeteiligung, differentialdiagnostisch eine seronegative rheumatoide Arthritis vorliege, aktuell unter medikamentöser Therapie ohne entzündliche Aktivität. Im klinischen Befund heißt es u. a.: „Wirbelsäule: kein Klopfschmerz [...], kein DS über ISG-Fuge, Zehenspitzen- und Fersengang möglich. Sensibilität seitengleich. Gelenkstatus: keine druckschmerzhaften oder geschwollenen Gelenke.“ Ergänzend wird auf den weiteren Inhalt der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 01. März 2023 zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt:

Das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 17. Februar 2021 sowie der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 01. Juli 2020 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab dem 01. Juli 2020 Leistungen nach Pflegegrad 2 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ihres Hausarztes, Herrn Dr. med. E., vom 30. Mai 2024. Nach den Angaben im Gutachten ist die Klägerin inzwischen verwitwet, bezieht eine Erwerbsminderungsrente und arbeitet weiterhin in einem R-Markt, ausschließlich an der Kasse. Sie bewohne einen Bungalow; ein Pkw stehe zur Verfügung und werde von ihr auch jedenfalls für kurze Strecken benutzt. In einer angrenzenden Wohnung wohne der erwachsene Sohn mit seiner Frau, die die Klägerin insbesondere bei der hauswirtschaftlichen Versorgung unterstützten. Eine Freundin rufe sie täglich an und besuche sie einmal wöchentlich. In der Wohnung bewege sie sich selbständig, erreiche selbständig ihr Bett, könne alle Transferleistungen ausüben; außerhalb könne sie in Begleitung bis zu 500 m zurücklegen, etwa bei Spaziergängen mit dem Sohn und dessen Hund. Treppensteigen beschränke sich auf ihren Wohnungseingang; eine Geschosstreppe könne sie jedoch nicht ohne Hilfe überwinden. Die Körperhygiene sei selbständig möglich. Sie habe einen Tag- Nacht-Rhythmus, schlafe jedoch schlecht und nur mit Unterbrechungen, teils wegen Toilettengängen, aber auch wegen nächtlicher Angst- und Panikzustände. Tagsüber schlafe sie häufiger ein, auch in der Öffentlichkeit und bei der Arbeit. Nahrung und Flüssigkeit nehme sie selbständig zu sich, die Zubereitung werde ihr teilweise abgenommen, zum Trinken müsse sie angehalten werden, insbesondere in depressiven Episoden. In den Morgenstunden habe sie ausgeprägte Probleme mit dem Antrieb; sie brauche Stunden, um in den Tag zu kommen.

Der Gutachter gelangt im Ergebnis zu der Einschätzung, dass die Klägerin im Umfang von Pflegegrad 2 pflegebedürftig sei, wobei abhängig von der verwendeten Software entweder 32,5 oder 40,0 Gesamtpunkte feststellbar seien. Zwei verschiedene Online-Pflegegradrechner (des SoVD und des VdK) hätten für das Modul 3 unterschiedliche Ergebnisse (7,5 bzw. 15 gewichteten Punkten) geliefert. Die Schwelle zum Pflegegrad 2 müsse etwa im Sommer 2020 überschritten worden sein, kurz nach dem Gutachten der Frau Wa., das bereits im oberen Bereich des Pflegegrades 1 gelegen habe.

In den einzelnen Modulen hat Herr Dr. E. folgende gewichtete Punkte vergeben:

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Formularteil des Gutachtens Bezug genommen.

Die Beklagte ist dem Gutachten entgegengetreten. Die Punktevergabe entspreche nicht den festgestellten Befunden. Der Gutachter ist im Rahmen einer vom Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung zu den Akten gereichten Stellungnahme bei seiner Einschätzung verblieben; wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die angegriffenen Bescheide der Beklagten jedenfalls nach der zwischenzeitlichen Teilabhilfe rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen kann zur Begründung im Wesentlichen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen werden, die sich der Senat nach Prüfung zu Eigen macht. Insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Ergänzend sei lediglich Folgendes ausgeführt:

Die im ersten Rechtszug umfangreich vorgebrachten Einwendungen der Klägerseite gegen das Sachverständigengutachten der Frau Wa. beschränken sich im Wesentlichen auf eine wörtliche Wiedergabe der abstrakten Beschreibungen von erheblichen Einschränkungen der Selbständigkeit, wie sie sich in den Begutachtungs-Richtlinien (seinerzeit: Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes, nunmehr des Medizinischen Dienstes Bund, zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches) zu einzelnen Merkmalen finden, ohne dass in irgendeiner Weise deutlich würde, woraus vorliegend jeweils die Unselbständigkeit der Klägerin resultieren soll. Die insoweit vorliegenden objektiven Befunde, bspw. die oben wiedergegebene Möglichkeit des Zehenspitzen- und Hackengangs, die Fähigkeit einen Pkw zu führen, in regelmäßigem telefonischen und persönlichen Kontakt zu einer Freundin zu stehen und jedenfalls wöchentlich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, belegen jedoch im Gegenteil, dass nennenswerte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit Einfluss auf das Alltagsleben bei der Klägerin gerade nicht anzunehmen sind.

Die Feststellungen der Gutachterin Wa., an deren Expertise als Pflegesachverständige mit Zertifizierung nach DIN EN ISO/IEC 17024 keinerlei Bedenken bestehen, werden durch die sehr allgemein gehaltenen Ausführungen der Klägerseite daher nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil erscheint ihre Einschätzung des Hilfebedarfs der Klägerin im Bereich der Selbstversorgung (Modul 4) eher deutlich zu großzügig. So lassen sich weder dem rheumatologischen Bericht der Uniklinik A-Stadt noch den Angaben des Hausarztes so erhebliche Bewegungseinschränkungen entnehmen, dass sich ein Hilfebedarf bei den hier zu berücksichtigenden Verrichtungen (mit Ausnahme vom Transfer in die Dusche/Wanne) begründen ließe. Durchaus plausibel erscheint daher die Einschätzung von 0 gewichteten Punkten durch Herrn Dr. E. für dieses Modul.

Das Sachverständigengutachten des Herrn Dr. E. ist als Beweismittel auch grundsätzlich berücksichtigungsfähig; dass er der behandelnde (Haus-)Arzt der Klägerin ist, steht seiner Benennung und Beauftragung im Rahmen von § 109 SGG nicht grundsätzlich entgegen. Die Vorschrift soll gerade sicherstellen, dass der Beteiligte die Möglichkeit hat, eine Begutachtung durch einen Arzt seines Vertrauens zu erreichen und ist als Ausgleich dafür gedacht, dass die Behörden im Verwaltungsverfahren in der Regel Ärzte ihrer Wahl hören. Die Tatsache allein, dass der Sachverständige die Klägerin behandelt oder beraten hat, kann eine Befangenheit deshalb nicht begründen. Es müssen vielmehr besondere Gründe für die Annahme von Parteilichkeit vorliegen, um eine Ablehnung zu rechtfertigen (Kühl in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Auflage, § 109 Rn. 10; ders., NZS 2003, 579, 581 m. w. N.). Ein besonderes Näheverhältnis zwischen Gutachter nach § 109 SGG und Kläger schließt das Gutachten als Grundlage der gerichtlichen Überzeugungsbildung daher nicht aus, ist aber bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (Giesbert in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 128 SGG Rn. 55).

Auch die weiteren konkreten Feststellungen und Befunde im Gutachten des Herrn Dr. E., wie sie im Abschnitt „Die Lebensumstände, Fertigkeiten und Fähigkeiten der Patientin (Materialerhebung)“ aufgeführt und oben im Tatbestand auszugsweise wiedergegeben sind, können vom Senat deshalb durchaus bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden, da insofern für eine unrichtige oder tendenziöse Darstellung keine Anhaltspunkte bestehen. Weil mit den übrigen Befunden in Einklang stehend, erscheint es ferner unbedenklich, das Ergebnis des von Herrn Dr. E. durchgeführten Timed "Up and Go"-Tests als festgestellte Tatsache der Sachentscheidung zugrunde zu legen. Dieser wies mit 11,7 Sekunden eine nur ganz geringe Überschreitung des Normalwertes von bis zu 10 Sekunden und damit eine allenfalls leichte, für die Beurteilung von Pflegebedürftigkeit irrelevante Mobilitätseinschränkung auf.

Ohne jegliche innere Überzeugungskraft bleibt hingegen die vom Sachverständigen vorgenommene Punktewertung, insbesondere in den Modulen 3, 5 und 6. Eine eigene Auswertung der vom Sachverständigen erhobenen Befunde durch den Senat unter Berücksichtigung der Maßgaben der Begutachtungs-Richtlinien ergibt vielmehr ein deutliches Unterschreiten des gemäß § 15 Abs.3 Satz 4 Nr. 2 SGB XI für den Pflegegrad 2 erforderlichen Mindestwertes von 27 Gesamtpunkten.

Dabei ist vorab klarzustellen, dass rein rechnerisch aus den von Dr. E. gesetzten „Kreuzchen“ 7 Einzelpunkte im Modul 3 resultieren, welche für dieses Modul 15 gewichtete Punkte ergäben (vgl. Anl. 2 zu § 15 SGB XI), was schwersten Beeinträchtigungen im Bereich der Verhaltensweisen und psychische Problemlagen entspräche. Der vom Sachverständigen verwendete Online-Rechner des VdK hat somit das rechnerisch korrekte Ergebnis geliefert. Dieses lässt sich jedoch ebenso wenig wie die ermittelten gewichteten Punkte in den Modulen 5 (15,00) und 6 (7,5) mit den vom Sachverständigen erhobenen und beschriebenen Befunden sowie mit der weiteren Aktenlage in Einklang bringen.

Es finden sich bspw. im Betreuungsgutachten, abgesehen von einer gewissen Depressivität, keine nennenswerten geistig/seelischen Einschränkungen, die mit schwersten Beeinträchtigungen im Bereich der Verhaltensweisen und psychische Problemlagen in Übereinstimmung zu bringen wären. Auch wird etwa im textlichen Befundteil des Gutachtens des Herrn Dr. E. in keiner Weise deutlich, wieso die Klägerin häufig (also mindestens zwei Mal wöchentlich) personelle Hilfe sowohl wegen Ängsten als auch (zusätzlich) wegen Antriebslosigkeit und darüber hinaus mindestens zweiwöchentlich wegen nächtlicher Unruhe benötigen soll. Nach dem Textteil des Gutachtens führt die Antriebsminderung der Klägerin lediglich dazu, dass sie „Stunden brauche, um in den Tag zu kommen“, was ihr demnach verlangsamt, aber selbständig gelingt. Sie habe einen strukturierten Tagesablauf, müsse jedoch einzelne Anteile langsam angehen. „Zum Trinken müsse sie angehalten werden, insbesondere in depressiven Episoden müsse sie täglich kontrolliert werden, um nicht in gesundheitlich kritische Bereiche zu rutschen.“ Eine nach den Begutachtungs-Richtlinien (unter F.4.3.11) für die Annahme eines Hilfebedarfs infolge Antriebsschwäche zu verlangende „aufwendige Motivierung durch andere“ benötigt die Klägerin jedoch ganz offenbar nicht. Dass die Klägerin Impulse benötigt, um eine Handlung (z. B. Trinken) zu beginnen oder fortzuführen, genügt gerade nicht. Zu den Ängsten der Klägerin führt der Gutachter im Befundteil aus, dass sie durch „Unvorhergesehenes und Ablenkungen“ beeinträchtigt werde, worauf sie mit Angst und im schlimmsten Fall mit einer Panikattacke reagiere. Ein derart häufiges und zudem mit personellem Hilfebedarf einhergehendes Auftreten schwerer Angstzustände, wie der Tabellenteil impliziert, lässt sich hieraus keineswegs herleiten. Nach den Begutachtungs-Richtlinien (unter F.4.3.10) ist zudem das Herstellen einer angstfreien Atmosphäre durch bloße Anwesenheit einer weiteren Person (ohne deren aktive personelle Unterstützung) nicht zu bewerten, weshalb das bloße Übernachten des Sohnes in der Wohnung der Klägerin, wie von Frau Wa. in ihrem Gutachten und vom Klägervertreter im Termin beschrieben, nicht pflegerelevant ist. Nach den Maßgaben der Begutachtungs-Richtlinien unter F.4.3.2 sind zudem Schlafstörungen wie Einschlafschwierigkeiten am Abend oder Wachphasen während der Nacht nicht zu werten, solange nicht personelle Unterstützung zur Beruhigung erforderlich ist. Es kommt hinzu, dass sich die Klägerin ganz offenbar nicht in kontinuierlicher psychotherapeutischer oder psychiatrischer Behandlung befindet und auch vom Hausarzt nicht mit Psychopharmaka behandelt wird. In den von der Klägerin zu den Akten gereichten, mehr als 200seitigen medizinischen Unterlagen findet sich nicht ein einziger entsprechender Anhalt. Zudem fährt die Klägerin bis zuletzt zumindest gelegentlich selbständig Auto, etwa um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen und ist nach Aktenlage nur selten arbeitsunfähig. Eine schwerer wiegende Einschränkung im Bereich der Verhaltensweisen und psychische Problemlagen ist hiermit nicht vereinbar. Allein das Entfallen nur eines Einzelpunktes im Modul 3 führt aber dazu, dass dieses Modul nicht mehr mit 15, sondern mit maximal 7,5 gewichteten Punkten zu bewerten ist.

Noch deutlicher unrichtig ist die Bewertung durch Herrn Dr. E. im Ergebnis des Moduls 5. Zwar mag zu 5.1 (Medikation), 5.2 (Injektionen), 5. 7 (Körpernahe Hilfsmittel) und 5.11 (Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung) je eine wöchentliche Hilfe anzurechnen sein, wenngleich nicht erkennbar wird, worum es sich hier im Einzelnen eigentlich handeln soll. Hieraus resultieren indes lediglich ein Einzelpunkt und 5 gewichtete Punkte. Erst durch die von Herrn Dr. E. ferner berücksichtigten zwei monatlichen Arztbesuche (5.13) und je wöchentlichen „Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen (bis zu drei Stunden)“ (5.14) und „Zeitlich ausgedehnte Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen (länger als drei Stunden)“ (5.15) kommt es jedoch zu der Bewertung dieses Moduls mit 4 Einzelpunkten bzw. 15 gewichteten Punkten. Es ist aber weder vorgetragen, vom Sachverständigen erläutert noch sonst ersichtlich, worum es sich bei diesen häufigen Besuchen von Ärzten und anderen Therapeuten überhaupt handeln soll. Zudem wird nicht klar, warum und inwieweit die selbständig mobile Klägerin hierbei personelle Hilfe benötigen sollte. Auch erschließt sich nicht, welche Pflegeperson eine derart zeitaufwendige Hilfe – ihre Erforderlichkeit einmal unterstellt – derzeit leisten sollte, da Sohn und Schwiegertochter in Vollzeit berufstätig sind. Auch der Klägervertreter hat hierzu im Termin nicht zur Aufklärung beigetragen, obschon die Beklagte zuvor mit Schriftsatz vom 24. Juli 2024 zutreffend darauf hingewiesen hatte, dass im Modul 5 ausschließlich konkrete, ärztlich angeordnete Maßnahmen berücksichtigungsfähig sind, die zudem auf Dauer, also für wenigstens sechs Monate angelegt sind.

Schließlich steht der von Dr. E. beschriebene Befund auch seiner Bewertung des Moduls 6 mit 7,5 gewichteten Punkten entgegen. Unter Berücksichtigung der Begutachtungs-Richtlinien ist dieses Modul anhand der tatsächlichen Feststellungen des Sachverständigen allenfalls mit 3,75 gewichteten Punkten zu bewerten, da nicht wenigstens 4 Einzelpunkte erreicht werden. Der Sachverständige hat jeweils einen Einzelpunkt für die Punkte 6.1 bis 6.4 vergeben, weil er hier jeweils nur überwiegende Selbständigkeit angenommen hat. Die Klägerin hat nach den Feststellungen des Sachverständigen jedoch einen strukturierten Tagesablauf, muss lediglich einzelne Anteile langsam angehen. Unvorhergesehenes sei zwar angstauslösend; dass dies mit einem personellen Unterstützungsbedarf einherginge, ist jedoch nicht ersichtlich (6.1, Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen). Die Klägerin ist auch weder durch somatische Erkrankungen noch durch psychische Störungen daran gehindert selbständig einen Tag-Nacht-Rhythmus einzuhalten; sie benötigt weder Transferhilfen noch zeitliche Orientierungshilfen beim Wecken oder eine Aufforderung, schlafen zu gehen; es ist auch nicht ersichtlich, dass sie nicht in der Lage wäre, selbständig mit Phasen der Schlaflosigkeit umzugehen (6.2, Ruhen und Schlafen). Dass die Klägerin, wie vom Sachverständigen festgestellt, täglich mit einer Freundin telefoniert und sie auch einmal wöchentlich besucht sowie wöchentlich zur Arbeit geht, lässt eine pflegerelevante Beeinträchtigung auch im Punkt 6.3 (Sich beschäftigen) nicht erkennen. Dass sie „keine Zukunftsplanung“ unternimmt, weil sie ihren „Gesamtzustand langfristig betrachtet zu labil“ hierfür einschätzt und „eine mittlere Form der Zukunftsmüdigkeit“ angibt, ist so wenig konkret, dass eine Einschränkung der Selbständigkeit bei Punkt 6.4 (Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen) zwar möglich, aber keineswegs zwingend erscheint.

Angesichts von hiernach wenigstens in Abzug zu bringenden 21,25 Gesamtpunkten (Modul 3: - 7,5, Modul 5: -10; Modul 6: -3,75) ist der für den Pflegegrad 2 erforderliche Mindestwert von 27 Gesamtpunkten im Ergebnis eindeutig nicht erreicht. Dass die vom Senat bei der Punktewertung berücksichtigten Maßgaben der Begutachtungs-Richtlinien insgesamt oder in einzelnen Punkten nicht sachgemäß und deshalb anders zu beurteilen wären, ist nicht ersichtlich. Hierfür ist weder etwas vorgetragen, noch werden Zweifel in der pflegewissenschaftlichen Diskussion geäußert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Redaktionell bearbeitet P. Becker, Kassel