Nach der Erstveröffentlichung im April 2012 wurde am 15.12.2019 die aktualisierte Fassung der AWMF-Leitlinie „Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen“ verabschiedet (AWMF-Register Nr. 051-029; gültig bis 14.12.2024). Federführende Fachgesellschaften der S2k-Leitlinie sind die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. (DGPM), die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN) sowie die Deutsche Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung e.V.
Die Leitlinie gliedert sich in drei Teile:
I. Gutachtliche Untersuchung bei psychischen und psychosomatischen Störungen
II. Begutachtung der beruflichen Leistungsfähigkeit
III. Begutachtung bei Kausalitätsfragen im Sozial-, Zivil- und Verwaltungsrecht
Bereits in Teil I wird betont, dass der Sozial- und Berufsanamnese bei Fragestellungen zum beruflichen Leistungsvermögen besondere Bedeutung zukommt. Als Bestandteile einer qualifizierten Arbeits- und Berufsanamnese werden genannt:
Teil II der Leitlinie befasst sich laut Präambel mit der interdisziplinären Qualitätssicherung bei der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit für die Renten- und die private Berufsunfähigkeitsversicherung sowie der Dienstfähigkeit bei Beamten. Genannt werden weiter die Begutachtung für berufsständische Versorgungswerke (z. B. die Ärzteversorgung) und die private Erwerbsunfähigkeitsversicherung.
Ergänzend anzumerken ist, dass die folgenden Ausführungen zur Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit vom Prinzip her auch für die private Krankentagegeldversicherung gelten, welche zur Sparte private Krankenversicherung gehört (mit eigenen Musterbedingungen, den MB/KT) und für die jährlich viele Tausende von Gutachten verfasst werden – das wurde bei der Aktualisierung offenbar nicht berücksichtigt.
Grundsätzlich, so die Leitlinie, handelt es sich bei der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit in allen Rechtsgebieten um eine Zustandsbegutachtung (auch als finale Begutachtung bezeichnet), im Rahmen derer sowohl die Krankheiten als auch die durch sie bedingten Funktions- und Leistungsbeeinträchtigungen nachgewiesen sein müssen.
Hier die in Teil II genannten zusammenfassenden Empfehlungen für die Begutachtung (leicht redaktionell bearbeitet und gekürzt):
Ressourcen stellen eine potenzielle Leistungsreserve dar, die dem zu Begutachtenden entweder bewusst und verfügbar ist oder nach Training und Therapie erreichbar wird.
Orientierende Bewertungen der Gültigkeit von Aussagen, Beobachtungen oder Testleistungen können aus freien Konsistenz- und Plausibilitätsprüfungen vorgenommen werden.
Die Bewertung der Gültigkeit von Aussagen, Beobachtungen oder Testleistungen soll im Rahmen einer Konsistenz- und Plausibilitätsprüfung erfolgen. Weitergehend kann dies auf der Grundlage geeigneter psychologischer Validierungskonzepte und Validierungsmethoden erfolgen. Dazu können standardisierte und normierte Validierungsmethoden ebenso wie testpsychologisch gestützte Merkmalsvergleiche in den Bewertungsprozess integriert werden.
■ G.-M. Ostendorf, Wiesbaden