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Aktuelle Urteile zur Privatversicherung

In der Zeitschrift „Versicherungsrecht“ wird immer wieder über Urteile berichtet, die für den medizinischen (Gerichts-)Sachverständigen durchaus von Interesse sind. Zudem finden sich auch interessante Zusammenfassungen zu einschlägigen Themen aus juristischer Sicht.

Nach längerer Pause hier wieder eine Zusammenstellung einiger kurzer Referate über entsprechende Publikationen aus den vergangenen Monaten zur Arzthaftpflicht, zur privaten Unfallversicherung, zur privaten Krankenversicherung sowie zum Prozessrecht (soweit aus gutachtlicher Sicht relevant).

Arzthaftpflicht

Haftung der Berufsgenossenschaft für Fehler des Durchgangsarztes

Die Berufsgenossenschaft haftet für Fehler eines von ihr bestellten Durchgangsarztes auch in solchen Fällen, in denen die Folgen sich erst im weiteren Verlauf der Heilbehandlung auswirken, erklärte Karl Nußstein, Richter am BayObLG. Das gilt insbesondere dann, wenn die ungeprüfte Übernahme einer fehlerhaften Diagnose, für welche die Berufsgenossenschaft haftet, bei der besonderen Heilbehandlung nicht als behandlungsfehlerhaft anzusehen sein sollte.

Falls jedoch die ungeprüfte Übernahme der Diagnose, die im Haftungsbereich der Berufsgenossenschaft erstellt wurde, bei Durchführung der Heilbehandlung eine Abweichung vom ärztlichen Standard darstellt, haftet der Durchgangsarzt wegen dieser Abweichung vom ärztlichen Standard gem. § 30a Abs. 2 BGB. Die daneben – weiter – bestehende Haftung der Berufsgenossenschaft tritt dann zurück.

(Nußstein, K. (2020). Die Haftung des Durchgangsarztes – und kein Ende? Versicherungsrecht 24, 1564-1566)

Private Unfallversicherung

Anforderungen an den Nachweis eines Unfallereignisses

Der erforderliche Nachweis eines Unfallereignisses ist nicht geführt, wenn zahlreiche Unstimmigkeiten durchgreifende Zweifel an der Schilderung des Versicherungsnehmers wecken und auch kein Fall vorliegt, bei dem in Ermangelung anderer Beweise zum Hergang gleichwohl aus den Folgen auf das Vorliegen eines bedingungsgemäßen Unfalls geschlossen werden müsste, lautet der amtliche Leitsatz eines Urteils des Oberlandesgerichts (OLG) Saarbrücken vom 16.12.2020 (AZ: 5 U 39/20).

So war schon die eigene Darstellung des Klägers zum angeblichen Unfallereignis unklar und widersprüchlich und für den Senat in keiner Weise glaubhaft. Eine schlüssige, glaubhafte Schilderung eines Unfallgeschehens wurde nicht geliefert.

Gleichsam inkonsistent waren – so die Saarbrücker Richter weiter – die Angaben des Klägers zu den Folgen seines angeblichen Sturzes und dessen ärztlicher Behandlung: Diese waren widersprüchlich, unglaubhaft und durch nichts belegt.

Zudem gab es keine objektiven Belege für den angeblichen Unfall oder für eindeutige Unfallfolgen. Zeugen, die den behaupteten Sturz hätten beobachten können, waren offenbar keine vorhanden. Ebenso wenig existierten aussagekräftige ärztliche Unterlagen, welche einen nachvollziehbaren Erstschaden mit unfalltypischen Verletzungen dokumentiert hätten.

Ganz im Gegenteil folgte aus den klaren und eindeutigen Angaben des Gerichtssachverständigen – dessen fachliche Kompetenz durch die gründliche Begutachtung belegt sei und auch sonst außer Zweifel stehe, so das OLG – dass sämtliche vom Kläger vorgetragenen Beschwerden, die später Anlass für Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen gewesen waren, nicht unfalltypisch waren. Diese seien vielmehr Folgen einer seit langem vorhandenen degenerativen Wirbelsäulenerkrankung.

So hatte der Sachverständige ausgeführt, dass er bei der ausgiebigen körperlichen Untersuchung keinerlei Unfallfolgen festgestellt habe und dass solche auch im – lange nach dem Unfall angefertigten – MRT nicht erkennbar seien.

Bemerkenswert war weiter, dass es nach den Feststellungen des Sachverständigen keinerlei Erstbefunde im Sinne von klinischen Untersuchungsbefunden gab, welche allein als Anknüpfungstatsachen geeignet gewesen wären, insbesondere keinerlei Befunde zu unfalltypischen Verletzungen wie etwa Prellungen. Die vom Kläger angegebenen Beschwerden waren auch sämtlich nicht unfalltypisch, sondern Ausfluss seiner durch die Bildgebung dokumentierten, seit langem vorhandenen degenerativen Defekte.

Auch dass der Kläger sich (nachprüfbar erst vier Tage nach dem behaupteten Unfall) in ärztliche Behandlung begeben und aufgrund der geklagten Beschwerden eine Krankschreibung erhalten hatte, ersetzt keinen ärztlichen Befund und genügt nicht, einen bedingungsmäßigen Unfall mit der erforderlichen Gewissheit nachzuweisen, erklärten die Saarbrücker Richter.

(Versicherungsrecht (2021) 8, 500-504)

Keine Addition bei mehreren Verletzungen eines Arms

Wenn mehrere Verletzungen/Beeinträchtigungen eines Arms – oder auch Beins – vorliegen, können diese zwar zunächst getrennt bemessen werden; sie dürfen aber nicht addiert werden, erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Hamm mit Beschluss vom 11.10.2020 (AZ: 20 U 166/19).

Vielmehr ist ein einheitlicher Invaliditätsgrad unter Erhöhung der größten Einzelfunktionsbeeinträchtigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Beeinträchtigungen zu bilden (Fortführung der BGH-Rechtsprechung vom 14.12.2011), so der amtliche Leitsatz weiter. Der Sachverständige hatte hierzu ausgeführt, dass eine Wechselwirkung der hier festgestellten einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen bestehe, welche eine Addition ausschließe.

(Versicherungsrecht (2021) 2, 112)

Krankentagegeld auch bei Physiotherapie

Die nach Nr. 2.5 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 08) für den Anspruch auf Krankentagegeld maßgebliche ärztliche Behandlung endet nicht stets mit der letzten Vorstellung beim Arzt, erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 4.11.2020 (AZ: VI ZR 19/19). Sie umfasst vielmehr regelmäßig die Dauer der vom Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen (wie Physiotherapie), so der amtliche Leitsatz.

(Versicherungsrecht (2021) 1, 21-23)

Private Krankenversicherung (PKV)

Vorrang ambulanter vor stationärer ­Behandlung auch bei der PKV

Auch bei privaten Krankenversicherungen gilt der Vorrang der ambulanten vor der stationären Heilbehandlung, ohne dass es dazu einer gesetzlichen Normierung bedarf, erklärte das Landgericht (LG) Mannheim mit (nicht rechtskräftigem) Urteil vom 10.9.2020 (AZ: 9 O 383/19). Die Differenzierung und die Nachrangigkeit der stationären Behandlung ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch erkennbar, so die amtlichen Leitsätze.

Bei einer stationären Behandlung ist demnach die medizinische Notwendigkeit anhand eines Vergleichs mit der ambulanten Behandlungsform zu prüfen. Eine stationäre Krankenhausbehandlung ist nur dann medizinisch notwendig, wenn der angestrebte Erfolg mit einer ambulanten Maßnahme nicht erreicht werden kann. So ist eine stationäre Behandlung nicht erforderlich, wenn die Erkrankung durch eine ambulante Therapie nicht in gleicher Weise geheilt oder gelindert werden kann.

Es ist nur dann vertretbar, eine stationäre Behandlung als notwendig anzusehen, wenn sie nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme geeigneter erscheint als eine ambulante Behandlung, so das Landgericht.

(Versicherungsrecht (2021) 2, 107-109)

Erstattung von Hilfsmitteln durch die PKV

Über die juristischen Grundsätze der Erstattung von Hilfsmitteln durch die private Krankenversicherung berichtete der Fachanwalt für Versicherungsrecht und Medizinrecht Michael Rauscher aus München:

Während die Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 SGB V zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehört, finden sich in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der privaten Krankenversicherer kaum Regelungen zur Erstattung von Hilfsmitteln. Entscheidend ist hier der jeweils gewählte Tarif mit seiner konkreten Ausgestaltung des Leistungsversprechens. So kann der Versicherungsschutz mit einem abschließenden Hilfsmittelkatalog wirksam auf die genannten Hilfsmittel begrenzt werden. Weitere Begrenzungen sind der Höhe nach, prozentual oder durch Selbstbehalt möglich.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mehrfach darauf hingewiesen, dass der Versicherungsschutz in der privaten Krankheitskostenvollversicherung – trotz Versicherungspflicht und Substitutionsfunktion – nicht an den Leistungen der GKV zu messen ist. Schon wegen der Strukturunterschiede beider Systeme können Versicherte einer privaten Krankenversicherung nicht erwarten, in gleicher Weise versichert zu sein wie Mitglieder der GKV.

Als Grundvoraussetzung muss aber immer die medizinische Notwendigkeit vorliegen, welche ggf. im Prozess vom Versicherungsnehmer bewiesen werden muss. In diesem Zusammenhang ist die sog. Übermaßbehandlung zu beachten: Demnach kann der Versicherer seine Leistungen auf einen angemessenen Betrag herabsetzten, wenn eine Heilbehandlung oder sonstige Maßnahme, für die Leistungen vereinbart sind, das medizinisch notwendige Maß übersteigt. Beweispflichtig ist hier der Versicherer; berufliche und private Anforderungen des Versicherungsnehmers an das medizinische notwendige Maß sind jedoch nicht zu berücksichtigen.

Seit der „Hörgeräte-Entscheidung“ des BGH vom 22.4.2015 (AZ: IV ZR 419/13) ist geklärt, dass diese Regelung auch bei der Versorgung mit einem Hilfsmittel anzuwenden ist. Demnach übersteigen die Aufwendungen für ein vom Arzt verordnetes Hilfsmittel das medizinisch notwendige Maß, wenn das Hilfsmittel zusätzliche, nicht benötigte Funktionen oder Ausstattungsmerkmale aufweist und zugleich preiswertere, den notwendigen medizinischen Anforderungen für den jeweiligen Versicherungsnehmer entsprechende Hilfsmittel ohne diese zusätzlichen Funktionen oder Ausstattungsmerkmale zur Verfügung stehen.

Bei entsprechendem Vortrag des Versicherers im Prozess kann diese Frage nur durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden, so Rauscher.

(Rauscher, M. (2021). Hilfsmitteln in der privaten Krankenversicherung. Versicherungsrecht, 6, 351-356.)

Einsatz des Femtosekundenlasers bei ­Katarakt-Operation ist keine selbständige ärztliche Leistung

Der Einsatz des Femtosekundenlasers im Rahmen einer Katarakt-Operation stellt keine selbständige ärztliche Leistung im Sinne von § 4 und § 6 der GOÄ dar, erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit Urteil vom 28.8.2020 (AZ: I-4-U 162/18).

Die bloße Optimierung einer bereits in das Gebührenverzeichnis aufgenommenen Zielleistung (hier: Katarakt-Operation) ist nicht geeignet, eine selbständige ärztliche Leistung zu begründen, sofern die Beschreibung der Zielleistung das methodische Vorgehen – wie hier im Fall der GOÄ-Nr. 1375 (Extrakapsuläre Operation des Grauen Stars mittels gesteuerten Saug-Spül-Verfahrens oder Linsenkernverflüssigung ...) – offenlässt, so die Düsseldorfer Richter. Da die Voraussetzungen einer Analogabrechnung mangels Vorliegens einer selbständigen ärztlichen Leistung nicht erfüllt sind, ist der Einsatz des Femtosekundenlasers lediglich durch den Zuschlag nach GOÄ-Nr. 441 zu honorieren.

Das OLG Düsseldorf kommt somit zur selben Beurteilung wie bereits das OLG Naumburg (Urteil vom 9.5.2019; AZ: 4 U 28/19) und ähnlich auch das LG Frankfurt/Main (Urteil vom 31.5.2019; AZ: 1-14 S 3/18), worüber bereits in dieser Zeitschrift (Heft 4/2020, S. 150) berichtet wurde.

Interessant ist zudem die Anmerkung des OLG Düsseldorf, der Sachverständige habe den Einsatz der Femtosekundenlaser-Technologie sogar als „Preistreiberei“ bezeichnet.

(Versicherungsrecht (2021) 4, 246-252)

Prozessrecht

Erneute Anhörung des Sachverständigen durch das Berufungsgericht

Zwar steht es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts, ob und wieweit eine im ersten Rechtszug durchgeführte Beweisaufnahme zu wiederholen ist, erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 17.7.2020 (AZ: VI ZR 468/19).

Von einer erneuten mündlichen Anhörung des (vorinstanzlich beauftragten) Sachverständigen kann aber jedenfalls dann nicht abgesehen werden, wenn das Berufungsgericht (hier: OLG) dessen Ausführungen abweichend von der Vorinstanz (hier: LG) würdigen will, so der amtliche Leitsatz. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach der gebotenen ergänzenden Anhörung des Sachverständigen zu einer anderen Beurteilung komme.

Dass es einer erneuten Anhörung des Sachverständigen bedarf, wenn ein Berufungsgericht die Ausführungen des Sachverständigen in der vorherigen Instanz abweichend von deren Entscheidung würdigen will – insbesondere dann, wenn es ein anderes Verständnis der Ausführungen des Sachverständigen seiner Entscheidung zugrunde legen und damit andere Schlüsse aus diesen ziehen will als der Erstrichter – hatte der BGH bereits gut ein Jahr zuvor mit Beschluss vom 6.3.2019 (AZ: IV ZR 128/18) ausgeführt, wie bereits in dieser Zeitschrift berichtet (Heft 5/2019, S. 232 f).

(Versicherungsrecht (2021) 6, 398-399)

Sarkasmus unangebracht: Vorwurf der Befangenheit droht!

Gutachter in Gerichtsverfahren sollten jedes Verhalten vermeiden, das den Anschein der Befangenheit hervorrufen könnte, worauf in dieser Zeitschrift wiederholt hingewiesen wurde (etwa in Heft 5/2020, S. 226). Für Sachverständige gelten dabei grundsätzlich die Ablehnungsgründe wie für Richter (entsprechend § 42 ZPO).

Dass beispielsweise herabsetzende Äußerungen über ein bestimmtes Versicherungsunternehmen in einer früheren (!) Verhandlung dazu führen können, dass ein Richter wegen Befangenheit abgelehnt wird, zeigt ein Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15.9.2020 (AZ: VI ZB 10/20). Der Richter hatte damals in der mündlichen Verhandlung erklärt, er möge diese Versicherung nicht und würde jedem Versicherten, der zu ihm komme, empfehlen, sich einen anderen Versicherer zu suchen.

Auch wenn diese Äußerung nach späterer dienstlicher Erklärung des Richters seiner „manchmal sehr flapsig-sarkastischen Art geschuldet“ seien, die man ihm nachsehen möge, rechtfertigen sie die Befürchtung, dass er diesem Versicherungsunternehmen nicht unvoreingenommen gegenüberstehe, erklärte der BGH. Sie seien vielmehr geeignet, Zweifel daran aufkommen zu lassen, ob der abgelehnte Richter bereit und in der Lage sei, seine negative Grundeinstellung gegenüber dem Versicherungsunternehmen im Rahmen seiner (aktuellen) richterlichen Tätigkeit zurückzustellen und sei Amt pflichtgemäß ohne Ansehen der Person auszuüben.

(Versicherungsrecht (2021) 5, 332-334)

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden

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