Über das Problem erhöhter Morbidität und reduzierter Lebenserwartung nach Krebsheilung („Cancer Survivorship“) berichtete Hans-Georg Kopp, Chefarzt der Abteilung Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, auf dem 19. Internisten-Update-Seminar am 22. und 23. November 2024 in Wiesbaden.
Wenn Betroffene jung, also im Kindes-, Jugendlichen- oder jungen Erwachsenenalter, eine Krebstherapie erhalten müssen, dann weisen sie nicht nur ein langfristig erhöhtes Zweittumor-Risiko auf, sondern auch ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Das Phänomen ist seit langem bekannt und gewinnt mit der guten Prognose der meisten pädiatrischen/jugendmedizinischen Krebsarten eine immer größer werdende Bedeutung.
Eine Arbeitsgruppe der Universität Linköping präsentiert nun eine Auswertung des schwedischen Krebsregisters, das seit 1958 existiert. Die Autoren fanden Daten von 65.173 Patienten, die vor dem 25. Lebensjahr an Krebs erkrankt waren. Im Rahmen einer Matched-Pair-Analyse mit fünf Kontrollpersonen pro Krebspatient konnten relevante Informationen mit direktem Einfluss auf die medizinische Praxis erhoben werden.
So zeigten sich eine Spätrezidiv-Rate (definiert als Rezidiv mehr als 5 Jahre nach Erstdiagnose) von knapp 12 % und eine Sekundärmalignom-Rate von 5,6 %. Das Risiko, eine weitere Tumorerkrankung zu erleiden, war im Vergleich zu den Kontrollpersonen ca. dreifach erhöht. Die häufigsten Sekundärmalignome waren Knochen- und Weichteilsarkome (Odds Ratio ca. 36), Leukämien (Odds Ratio ca. 36) und Tumoren des zentralen Nervensystems (Odds Ratio ca. 30).
Das kardiovaskuläre Risiko war ca. 1,2-fach, das Risiko für Lungenerkrankungen oder Erkrankungen im Urogenitalbereich ca. 1,6-fach erhöht. Außerdem waren Traumen und Intoxikationen ca. 1,4-fach gesteigert zu beobachten.
Auch das Mortalitätsrisiko war erhöht. Viele Patienten starben an Rezidiven der Erkrankung. Doch auch bei den Patienten, die den Krebs mindestens fünf Jahre überlebt hatten, war die Lebenserwartung um 14,2 Jahre (!) niedriger als in der Kontrollgruppe. Insgesamt starben 9,8 % der Patienten an Krebs gegenüber 0,1 % der Kontrollen.
Der Studie zufolge haben sozioökonomische Faktoren, das Geschlecht und die Herkunft (Geburt außerhalb von Europa) einen Einfluss auf die Mortalität. So zeigten sich ein niedriger sozioökonomischer Status, männliches Geschlecht und Geburt außerhalb Europas mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert. Ein höheres Bildungsniveau und verheiratet sein waren demgegenüber mit einem Überlebensvorteil assoziiert.
Eine Studie wie die vorliegende wäre in Deutschland aufgrund der fehlenden registerübergreifenden Auswertbarkeit vorliegender Daten und aufgrund der erst seit viel kürzerer Zeit bundesweit existierender Krebsregister nicht möglich, kommentierte Kopp. Sie mahne, sich um diese Menschen auch nach der Transition (Überleitung von der Kinderheilkunde zur Erwachsenenmedizin) vermehrt zu kümmern.
Kommentar aus versicherungsmedizinischer Sicht
Von privaten Versicherungsunternehmen wird zunehmend gefordert, geheilte junge Krebspatienten zu normalen Bedingungen in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung sowie in der privaten Krankenversicherung zu versichern. Tatsächlich zeigen jedoch diese Daten, dass hier langfristig ein ganz erhebliches gesundheitliches Risiko besteht, welches – nach versicherungsmathematischen Grundsätzen – in der Risikoprüfung entsprechend zu berücksichtigen ist.
Stenmarker, M., Mallios, P., Hedayati, E., Rodriguez-Wallberg, K. A., Johnsson, A., Alfredsson, J. et al. (2024). Morbidity and mortality among children, adolescents, and young adults with cancer over six decades: A Swedish population-based cohort study (the Rebuc study). The Lancet Regional Health – Europe, 42.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden