Ein „Multisystem Inflammatory Syndrome“ (MIS) tritt meist zwei bis vier Wochen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 auf. Sofern die COVID-19-Erkrankung mild und ohne merkliche Beschwerden verlaufen ist, ist oft nicht klar, dass die vorliegenden Symptome damit in Zusammenhang stehen. Die Betroffenen haben plötzlich hohes Fieber und Gelenkschmerzen, teilweise treten bei ihnen Hautausschläge oder eine Bindehautentzündung auf. Oft klagen die Betroffenen auch über Bauchschmerzen, Übelkeit oder Durchfall. Die Laborwerte weisen auf schwere entzündliche Reaktionen im Körper hin, ohne dass der Ursprung der Entzündung erkennbar ist.
Die ersten Fälle von MIS-C (C für „Children“) wurden im März letzten Jahres bei Kindern entdeckt und auch als „Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“ (PIMS) bezeichnet. In Deutschland sind laut einem PIMS-Register bisher 40 kleine Patientinnen und Patienten mit MIS-C erfasst. Ein Auftreten des „Multisystem Inflammatory Syndrome in Adults“ (MIS-A) war hingegen bis Januar 2021 in Deutschland nicht bekannt. Veröffentlicht wurden bisher lediglich 16 Berichte von MIS-A aus Großbritannien und den USA. In ihrer aktuellen Kasuistik beschreiben Dr. med. Karl Rieper und Professor Dr. med Andreas Sturm nun die ersten beiden Fälle, die sie in ihrer Klinik behandelt haben.
Beim ersten Patienten handelte es sich um einen gesunden 27-jährigen Mann, der mit hohem Fieber bis 40 °C, Erbrechen, Durchfall sowie starken Bauch-, Kopf- und Gliederschmerzen eintraf. Mehrfach durchgeführte PCR-Tests auf SARS-CoV-2 waren negativ. Weil keine Hinweise auf eine Infektion gefunden wurden, vermuteten die behandelnden Ärzte zunächst eine schwere entzündliche Darmerkrankung (Morbus Crohn). Die daraufhin eingeleitete Behandlung führte jedoch nicht zum Erfolg. Zudem entwickelte der Patient vorübergehend eine deutliche Herzschwäche, die nicht zur Diagnose eines Morbus Crohn passte.
Eine kontinuierliche Hydrokortisontherapie hemmte die Entzündung schließlich und der Zustand des Patienten verbesserte sich. „Die Diagnose des MIS-A wurde von uns an Tag fünf gestellt. Da sich der klinische Zustand des Patienten bereits signifikant verbessert hatte und die Entzündungswerte rückläufig waren, verzichteten wir auf eine Immunglobulin-Therapie“, berichten die Ärzte. Vorbeugend gaben sie 100 mg Acetylsalicylsäure (ASS) zur Vermeidung von Thrombosen. Ein positiver Antikörpertest bestätigte eine durchgemachte SARS-CoV-2-Infektion und damit auch die Diagnose von MIS-A.
Nur drei Tage später behandelten die Berliner Klinikärzte ihren zweiten MIS-A-Fall. Hierbei handelte es sich um eine 21-jährige Frau, die sich mit starken Kopf- und Nackenschmerzen, Fieber bis 40 °C, Bauchschmerzen und Durchfall vorgestellt hatte. Die Ärzte vermuteten zunächst eine Hirnhautentzündung. 24 Stunden nach ihrer Aufnahme in die Klinik entwickelte auch sie eine Herzschwäche. Wegen der Parallelität zu dem kurz davor behandelten Patienten stellten die Ärzte dieses Mal rasch die Diagnose MIS-A.
Die junge Frau wurde ebenfalls mit Kortison behandelt. Zusätzlich erhielt sie Immunglobuline (Antikörper) zur Neutralisierung von Immunkomplexen, um so die übermäßige Immunreaktion im Körper abzufangen. Ihr Zustand verbesserte sich rasch.„Während MIS-C mittlerweile bei hunderten Kindern weltweit beschrieben wurde, sind Fälle von MIS-A in Deutschland bisher kaum bekannt. Die hier aufgeführten Fälle zeigen jedoch, dass auch bei Erwachsenen, die sich mit Fieber, erhöhten Entzündungswerten ohne Infektfokus sowie Erkrankungen verschiedener Organsysteme vorstellen, ein zeitlicher Zusammenhang mit einer möglicherweise asymptomatischen SARS-CoV-2-Infektion in Betracht gezogen werden muss“, erklären die Mediziner.
Da die Beschwerden sehr vielfältig sein können, bestehe die Gefahr, dass die Erkrankung oft übersehen wird, erklären Rieper und Sturm. Einige Symptome seien jedoch bei allen Patienten zu finden: Dazu gehöre ein mehr als fünf Tage anhaltendes Fieber, ein ausgeprägter Abfall des Blutdrucks mit Schockgefahr, stark erhöhte Entzündungswerte im Blut ohne Hinweis auf die zugrundeliegende Infektion sowie ein erhöhter NT-proBNP-Wert im Blut, der eine Herzschwäche anzeigt.
Unter Therapie mit Hydrokortison, welches die Entzündung hemmt, Immunglobuline, die Immunkomplexe binden, und ASS, welches Thrombosen vermeidet und die Blutgerinnung verbessert, besteht jedoch eine gute Prognose. In beiden Fällen konnten die Patienten nach Abschluss der Therapie das Krankenhaus nach gut zwei Wochen beschwerdefrei verlassen, und es traten bisher keine weiteren Beschwerden auf. „Dies lässt auf eine gute Prognose unter optimaler Therapie und intensivmedizinischer Betreuung hoffen“, erklären die Ärzte am Ende ihres Beitrags.
K. Rieper und A. Sturm:
Erste Fälle des Multisystem Inflammatory Syndrome nach SARS-CoV-2-Infektion bei jungen Erwachsenen in Deutschland
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2021; online erschienen am 11.3.2021
Pressemitteilung Thieme Gruppe