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Private Unfallversicherung: Aktuelle rechtliche, medizinische und gutachtliche Aspekte

Die aktuellen Entwicklungen in der privaten Unfallversicherung, gerade aus gutachtlicher Sicht, waren Thema eines Seminars am 16. November 2022 in Frankfurt/Main, veranstaltet vom IVM – Privates Institut für Versicherungsmedizin in Frankfurt. Die wissenschaftliche Leitung hatten Klaus-Dieter Thomann, Leiter des IVM, und Marcus Schiltenwolf, Leiter des Bereichs Konservative Orthopädie und Schmerztherapie am Universitätsklinikum Heidelberg.

Einen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung gab der Rechtsanwalt Oliver Tammer vom Anwaltsunternehmen BLD, Frankfurt. So berichtete er über ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 8.1.2020 (AZ: IV ZR 240/18), wonach die Klausel in den AUB, dass Krankenhaustagegeld bei einem Aufenthalt etwa in Sanatorien entfällt, auch für einen Aufenthalt in einer Rehaklinik gilt, da Rehaklinik ein Synonym für Sanatorium sei: „Eine Unfallversicherungsbedingung, nach der Krankenhaustagegeld bei einem Aufenthalt in Sanatorien, Erholungsheimen und Kuranstalten entfällt, schließt diesen Anspruch auch für den Aufenthalt in einer Rehaklinik aus“, lautet der amtliche Leitsatz des Urteils.

Zur Frage, welche Unterlagen der medizinische Gutachter für die Bewertung von Problemfällen braucht, nannte Thomann:

  • Unfallmeldung
  • Invaliditätsbescheinigung für die private Unfallversicherung
  • Ärztliche Aufzeichnungen / Erstberichte nach dem Unfallereignis (von Hausarzt, Facharzt bzw. Klinik)
  • Facharztberichte
  • Entlassungsberichte nach stationärer Behandlung in Akut- und ggf. Rehaklinik
  • Bei Arbeits-/Wegeunfällen: Dokumentation der Berufsgenossenschaft
  • Sowohl Berichte über Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren (Röntgen, CT, MRT) als auch die Originale dieser Untersuchungen
  • Schiltenwolf stellte die aktuellen medizinischen Kriterien der Invaliditätsbemessung in der privaten Unfallversicherung dar, welche nach ausführlicher Diskussion durch die „Sektion Begutachtung“ der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) verabschiedet wurden (vgl. den Beitrag von K. Dresing, T. Eyfferth, P. W. Gaidzik, M. Grotz, S. Lundin, M. Schiltenwolf, K.-D. Thomann.,B. Widder, J. Zeichen: „Zur Diskussion: Konsentierte Synopse über Bemessungsempfehlungen für muskuloskelettale Verletzungsfolgen in der Privaten Unfallversicherung“ in Heft 1/2022, S. 10-18, und die Leserbriefdiskussion dazu in den folgenden Heften).

    Weiter berichtete Schiltenwolf über die anstehende Aktualisierung der AWMF-Leitlinie „Ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen“ (Leitlinie Schmerzbegutachtung), deren Gültigkeit gerade – am 6.11.2022 – abgelaufen war. Er betonte, dass beim komplexen regionalen Schmerzsyndroms (CRPS; früher als M. Sudeck bezeichnet) der zeitliche Zusammenhang extrem wichtig ist und dass die psychischen Unfallfolgen getrennt von den Schmerzen zu bewerten sind.

    Die Neurologin Katrin Weigelt vom IVM beschäftige sich mit speziellen neurologischen Problemfällen: Distorsionen der Halswirbelsäule bei Menschen, die an einer krankhaften Einengung des Spinalkanals leiden. Bei Versicherten mit einer solchen Spinalkanalstenose, welche das Rückenmark „kneifzangenartig“ einengt, ist zu prüfen, ob eine Vorinvalidität bestand und/oder ob eine Mitwirkung durch unfallfremde Erkrankungen oder Gebrechen bei den Unfallfolgen anzunehmen ist:

    Hätte sich das Rückenmark bei einer Distorsion der Wirbelsäule im Spinalkanal bewegen können, wäre bei einem altersgemäß normal weitem Spinalkanal keine Schädigung (Myelopathie, Rückenmarkerweichung) eingetreten. Nur weil das Rückenmark im Spinalkanal eingeklemmt war, konnte die beim Unfall freigesetzte mechanische Energie neurologische Ausfälle verursachen. In solchen Fällen sind die verbleibende Invalidität und die Bewertung von Vorinvalidität und Mitwirkung im Rahmen einer eingehenden interdisziplinären Begutachtung auf neurologischem, unfallchirurgisch-orthopädischem und radiologischem Fachgebiet festzustellen, erklärte Weigelt.

    Die Prothesenzuschläge bei Endoprothesen nach unfallbedingten Verletzungen und die Begutachtung von hochbetagten Versicherten wurden von Robert Hartel, Unfallchirurg und Orthopäde und ebenfalls tätig für das IVM, vorgestellt:

    Die Beurteilung von Endoprothesen und von periprothetischen Frakturen in der privaten Unfallversicherung erfolgt prinzipiell nach den gleichen Grundsätzen wie die Beurteilung aller anderen Verletzungsfolgen. Ein Unfallereignis, welches die Implantation einer Endoprothese nötig macht, bedeutet eine nicht rekonstruierbare Zerstörung des betroffenen Gelenks. Trotz meist guter funktioneller Ergebnisse durch die endoprothetische Versorgung bedeutet die Prothese einen Verlust der körperlichen Integrität und Leistungsfähigkeit, der je nach Alter variiert.

    Bei der Beurteilung periprothetischer Frakturen ist besondere Sorgfalt auf die Beurteilung der Vorinvalidität zu richten, forderte Hartel. Diese begründe sich durch die zuvor eingebrachte Endoprothese und berücksichtige die Funktion unmittelbar vor dem erneut aufgetretenen Ereignis, welches zur periprothetischen Fraktur geführt habe. Besonderes Augenmerk gelte dem Unfallzusammenhang, da periprothetische Frakturen auch ohne Unfallereignis im Rahmen einer Lockerung eintreten können.

    Im zweiten Teil seines Vortrags führte Hartel aus, dass Verletzungsfolgen bei hochbetagten Versicherten von dem weiteren unfallunabhängigen Alterungsverlauf abgegrenzt werden müssen. Diese Abgrenzung müsse sehr sorgfältig erfolgen. Benötigt werde eine Vielzahl ärztlichen Dokumenten zum Krankheitsverlauf und den unfallunabhängigen Erkrankungen, wozu in der Regel auch der Schwerbehindertenbescheid und die Pflegegutachten vor und nach dem Unfall gehören. Eine schematische Bewertung von Verletzungen bei alten Menschen komme dagegen nicht in Frage.

    Insgesamt bestand Konsens bei den Tagungsteilnehmern, dass bei komplizierten Verletzungen, bei der Abklärung einer möglichen Vorinvalidität und bei der Einschätzung von Mitwirkung durch unfallfremde Gebrechen und Erkrankungen eine individuelle und sorgfältige persönliche Begutachtung unumgänglich ist, erklärte Thomann zusammenfassend. Mit einem sachlich korrekten, sowohl für die Versicherten als auch für die Versicherungsmitarbeiter (als medizinische Laien) verständlichen Gutachten können ggf. Missverständnisse ausgeräumt und unnötige Gerichtsverfahren vermieden werden.

    G.-M. Ostendorf, Wiesbaden