Das Reizdarmsyndrom ist eine prävalente chronische Erkrankung, für die wir nach wie vor keine kurativen Behandlungen zur Verfügung haben, erklärt Viola Andresen vom Ikaneum – Israelitisches Krankenhaus in Hamburg, auf dem 32. Gastroenterologie-Update-Seminar am 15. und 16. März 2024 in Berlin.
Die Pathophysiologie des Reizdarmsyndroms ist nach wie vor nicht vollständig verstanden. Es kristallisiert sich jedoch immer mehr heraus, dass verschiedene Ursachen ein Reizdarmsyndrom auslösen und unterschiedliche Störungen zu verschiedenen Beschwerden führen können, die dann unter dem Krankheitsbegriff „Reizdarmsyndrom“ zusammengefasst werden.
Eine Reihe von Studien hat in den vergangenen Jahren wiederholt gezeigt, dass es innerhalb der funktionellen gastrointestinalen Erkrankungen, die inzwischen DGBI (= Disorders of Gut-Brain-Interaction) genannt werden, bei vielen Patienten Überlappungen gibt. Andere gastrointestinale und extraintestinale Diagnosen, die mit Störungen der Darm-Gehirn-Achse oder zentralen Sensibilisierungen in Verbindung gebracht werden, sind häufige Ko-Morbiditäten des Reizdarmsyndroms und ein Faktor für eine größere Krankheitsbelastung. Diese Häufungen sprechen für gemeinsame Krankheitsmechanismen der zentralen Reizverarbeitung, deren Einbeziehung im Sinne einer eher globaleren Therapiestrategie eine Verbesserung der Gesamtsituation der Patienten bedeuten könnte.
Die Beschwerden beim Reizdarmsyndrom können für die Patienten sehr beeinträchtigend sein, was zu vermehrten Krankheitsausfällen und erhöhter Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führt. Auch im letzten Jahr beschäftigten sich wieder einige Studien mit der Häufigkeit und den Auswirkungen der Erkrankung. Zwei europäische Studien aus 2023 belegen erneut, dass das Reizdarmsyndrom nicht nur relevante Steigerungen der direkten Gesundheitskosten, sondern in noch größerem Maß eine sozioökonomische Belastung durch die indirekten Kosten, also den Arbeitsausfall, mit sich bringt. Beschwerden in mehreren Verdauungsorganen, eine hohe Symptomlast, Fatigue sowie begleitende psychische Beeinträchtigungen tragen besonders zu steigenden Kosten (u. a. durch Psychotherapie) und Arbeitsausfällen bei.
Da die Symptome beim Reizdarmsyndrom unspezifisch sind und die Erkrankung oft einen chronisch-fluktuierenden Verlauf nimmt, bestehen oft Unsicherheiten sowohl bei Patienten als auch bei Behandlern, ob nicht vielleicht doch eine andere strukturelle Krankheit übersehen wurde. In der Folge werden bei vielen Patienten wiederholte Untersuchungen vorgenommen. Ist die Diagnose eines Reizdarmsyndroms jedoch sorgfältig gestellt, ergeben auch weitere diagnostische Maßnahmen bei rezidivierenden Beschwerden meist keine andere Diagnose. Eine gute Patientenführung mit Reassurance und Erläuterung der Krankheitskonzepte kann weitere unnötige (und kostenträchtige) Diagnostik vermeiden.
Bislang ist keine kurative Therapie des Reizdarmsyndroms bekannt. Die Behandlungsansätze sind vielfältig und können im Sinne eines multimodalen Konzeptes kombiniert werden. Basis sind in der Regel Allgemeinmaßnahmen wie Ernährungsanpassungen und Ballaststoffe (z. B. Flohsamen), Entspannungsübungen und das Meiden individueller Symptomauslöser/Verstärker. Medikamentöse Behandlungsansätze sind in der Regel Symptom-orientiert. Wegen der pathophysiologischen Rolle der Darm-Gehirn-Achse und der oft begleitenden psychischen Komorbiditäten zählen auch psychotherapeutische Ansätze zum Therapiespektrum.
Auch Probiotika zur Mikrobiom-Modulation werden oft frühzeitig eingesetzt. Zwar gilt inzwischen als gesichert, dass Mikrobiom-Alterationen eine pathophysiologische Rolle beim Reizdarmsyndrom spielen, und auch im vergangenen Jahr gab es wieder Studien zur Therapie mit Probiotika. Das unterschiedliche Ansprechen der Patienten auf unterschiedliche Arten der Mikrobiom-Modulation untermauert jedoch, wie komplex das Mikrobiom und seine Wirkung im Organismus ist, so Andresen. Zudem sei keines der mikrobiologischen Therapieverfahren zielgerichtet.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden