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Suchtbehandlung setzt international zunehmend auf virtuelle Angebote

In Australien können sich Schüler kostenlos in einer "Climate School" anmelden. Dort lernen sie, wie sie in ihrem privaten Umfeld Drogen- und Alkoholmissbrauch vermeiden können. Das Programm hat sich nach Einschätzung von Professor Dr. med. Michael Krausz von der University of British Columbia in Vancouver ebenso bewährt wie "Check your drinking", mit dem in Großbritannien Jugendliche online zu einem vernünftigen Umgang mit Alkohol angehalten werden. In Deutschland ist eine entsprechende Aufklärungskampagne als "Kenn dein Limit" bekannt.

Diese Online-Ansätze werden mittlerweile nicht nur zur Prävention eingesetzt, sondern auch zur Früherkennung von Suchtproblemen und deren Behandlung. Auf den Internet-Portalen "E-CHUG" und "E-TOKE" lernen jüngere Menschen in Kanada ihren Alkohol- und Marihuana-Konsum einzuschätzen, um zu erkennen, wann sie professionelle Hilfe benötigen. Ein weiteres Beispiel, das der Suchtexperte Krausz anführt, ist das US-Startup "Mindstrong". Vom ehemaligen Direktor des National Institute of Mental Health, Tom Insel, gegründet, unterstützt es Patienten bei der Bewältigung psychischer Probleme. Über das sogenannte "Digital Phenotyping" versuchen Psychiater und Psychotherapeuten aus dem Verhalten der Nutzer am Computer oder dem Smartphone, Rückschlüsse auf deren psychische Verfassung zu ziehen.

Auch in den App-Stores gibt es mittlerweile Therapieangebote für Suchtkranke. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie warnt allerdings davor, dass nur wenige Apps auf wissenschaftlich geprüften Methoden wie der kognitiven Verhaltenstherapie basieren. Eine fundierte Therapie biete dagegen "CBT4CBT". Dort könnten Drogenabhängige am Computer eine kognitive Verhaltenstherapie absolvieren. Laut einer von Krausz zitierten klinischen Studie konnte die Wirksamkeit der Behandlung bereits belegt werden.

Zwei Ansätze, die in der Entwicklung digitaler Angebote eine Rolle spielen, sind das sogenannte "Gamification" und "Tailoring". Gamification setzt auf spielerische Elemente, um Therapien besonders für jüngere Menschen spannender und befriedigender zu gestalten. Dies wird, so Krausz, meist in Form von Belohnungen erreicht, die das Interesse der Spieler am Thema aufrechterhalten. "Belohnungen sind zum Beispiel die Erwähnung in sogenannten Leaderboards – eine Art Bestenliste – oder aber Zertifikate, Zugang zu spezifischem Material, manchmal sogar Preise", führt Krausz aus. Beim Tailoring werden Nachrichten und Inhalte auf den jeweiligen Nutzer individuell "zugeschnitten" und vermitteln eine persönliche Ansprache. Beide Elemente seien bei der Übertragung von Therapien ins Digitale wichtig, um den Verlust des menschlichen Faktors auszugleichen, erklärt Krausz. Darüber hinaus gibt es, alternativ zu bisherigen Therapiegruppen, immer mehr Facebook-Gruppen, in denen Betroffene gemeinsam Substanzabhängigkeiten wie das Rauchen angehen und so ihre Sucht erfolgreich überwinden, wie erste Studien gezeigt haben.

In Deutschland gibt es bislang kaum vergleichbare Angebote, so der Experte. Abschließend wendet er sich deshalb an Entscheidungsträger hierzulande und warnt davor, die internationale Entwicklung zu ignorieren. Es gehe nicht mehr um die Frage ob, sondern wie und wann virtuelle Behandlungsansätze einen zentralen Platz in der Suchtbehandlung einnehmen. Dafür müssten jetzt entsprechende Versorgungsstrukturen aufgebaut werden. Das deutsche Gesundheitswesen biete dafür im Prinzip gute Voraussetzungen, so Krausz. Zudem könnten die Erfahrungen der Corona-Krise genutzt und die Reorganisation der Versorgung gezielt vorangetrieben werden.

R. Michael Krausz et al.:
Virtuelle Medizin in der Behandlung von Sucht in den USA, Kanada und darüber hinaus
Suchttherapie 2020; 21 (4); S.1–5

Pressemitteilung thieme.de

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