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Urteile zur Haftpflicht im medizinischen Bereich

In der Zeitschrift „Versicherungsrecht“ wird immer wieder über Urteile in Prozessen zur Haftpflicht im medizinischen Bereich berichtet. Diese sind nicht nur für medizinische (Gerichts-)Sachverständige von Interesse, sondern ebenso für Ärzte der entsprechenden Fachrichtungen sowie ggf. auch für sonstige Medizinberufe, wie das erste zitierte Urteil zeigt. Wichtig sind zudem auch Ausführungen zur Höhe des Schmerzensgeldes bei schweren Schädigungen nach Behandlungsfehlern.

Hörtest bis zu 120 dB fachlich nicht zu beanstanden

Bei der Ermittlung der Unbehaglichkeitsschwelle im Rahmen eines Hörtests sind Tonsignale bis zu 120 dB fachlich nicht zu beanstanden, erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main mit Urteil vom 20.12.2020 (AZ: 26 U 29/19). Da der Kläger zudem nicht nachweisen konnte, nach dem Hörtest schlechter zu hören als vorher, wies das Gericht Ansprüche wegen eines angeblich fehlerhaft durchgeführten Hörtests zurück.

Der Kläger hatte nach einem Hör­sturz auf Veranlassung seines HNO-Arztes bei der beklagten Hörakustikerin einen Hörtest durchführen lassen, wozu auch die Messung der sog. Unbehaglichkeitsschwelle gehörte. Diese wird üblicherweise bis zu einer Lautstärke von 120 dB getestet.

Eine Woche nach diesem Hörtest hatte der Kläger gegenüber seinem HNO-Arzt über ein stark verschlechtertes Hörvermögen geklagt und war im Rahmen der anschließenden Behandlung mit Hörgeräten versorgt worden. Er begehrte nunmehr von der Hörakustikerin Schadensersatz wegen eines behauptet fehlerhaft durchgeführten Hörtests, wobei er sich u. a. darauf berief, dass 120 dB der Lautstärke eines Düsenflugzeugs entspreche und diese Tonsignale extreme Schmerzen verursacht hätten.

Das in erster Instanz zuständige Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Auch die hiergegen gerichtete Berufung vor dem OLG blieb erfolglos: Nach Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens lasse sich nicht feststellen, dass die Hörakustikerin den Hörtest nicht fachgerecht durchgeführt habe, erklärten die Frankfurter Richter. Insbesondere sei aus fachlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass der Kläger bei dem Hörtest zum Teil einer Lautstärke von 120 dB ausgesetzt gewesen sei.

Auf die Tätigkeit der Hörakustikerin im gesundheitshandwerklichen Bereich sind auch nicht die für Ärzte geltenden Regelungen – etwa hinsichtlich der Dokumentation der Befunderhebung – anzuwenden. Der Hörschaden ließ sich zudem nicht auf den Hörtest zurückführen. Die Sachverständige hat, so das OLG, soweit überzeugend ausgeführt, dass der Kläger nach dem Hörtest keine schlechtere Hörleistung gehabt habe als zuvor.

(Versicherungsrecht 72 (2021) 4: R3)

Anforderungen an das Bestreiten eines Behandlungsfehlers im Arzthaftungsprozess

Zur Frage, welche Anforderungen im Arzthaftungsprozess an die Ausführungen einer Klinik zu stellen sind, welche eine fehlerhafte – gegen die Hygienevorschriften verstoßende – Infusionsbehandlung bestreitet, nahm der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 24.11.2020 (AZ: VI ZR 415/19) Stellung.

Der Kläger hatte sich wegen Schmerzen an der Lendenwirbelsäule und Sensibilitätsstörungen im linken Bein in die Notaufnahme des Klinikums begeben. Dort war ein venöser Zugang in der rechten Ellenbeuge zur Verabreichung intravenöser Medikamente gelegt worden und der Kläger war stationär aufgenommen worden.

Nach einigen Tage waren Schmerzen, eine Schwellung, Schüttelfrost und Fieber aufgetreten, als deren Ursache sich eine MRSA-Sepsis, am ehesten bei Thrombophlebitis der rechten Ellenbeuge mit oberflächlicher Venenthrombose, herausgestellt hatte. Im weiteren Verlauf war es zu septischen Thrombosen in der Lunge und einer Spondylodiszitis gekommen, die operativ hatte behandelt werden müssen.

Der Kläger behauptete nun, bei der ersten Injektion habe der Arzt keine Handschuhe getragen, keine Handreinigung durchgeführt und eine Spritze verwendet, die ihm zuvor zu Boden gefallen sei. Dadurch sei es zu einer Infektion gekommen. Vom Landgericht wurde die Klage auf Schmerzensgeld und Verdienstausfall abgewiesen; vom Oberlandesgericht wurde die Berufung des Klägers durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen.

Dieser Beschluss ist jedoch aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur Verhandlung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht (das Oberlandesgericht) zurückzuverweisen, erklärte der BGH mit folgender Begründung:

So hatte die beklagte Klinik (unter Vorlage der Behandlungsdokumentation) vorgetragen, der Zeuge Dr. R. habe den Zugang bei dem Kläger gelegt und darüber die Infusion mit einem Schmerzmittel vorgenommen, wobei der notwendige Hygienestandard korrekt eingehalten worden sei. Der Zeuge Dr. R. hatte dann aber bei seiner Einvernahme vor Gericht angegeben, diese Maßnahme ausweislich der Dokumentation lediglich angeordnet, aber (wohl) nicht selbst ausgeführt zu haben, ohne sich konkret an den Sachverhalt erinnern und die tatsächlich handelnde Person benennen zu können. Der Gerichtssachverständige hatte die Dokumentation nicht beanstandet.

Nachdem nun aber offenbar nicht – wie von der beklagten Klinik behauptet – der Zeuge Dr. R. die Infusion gelegt hatte, sondern eine andere Person, hätte das Berufungsgericht dabei nicht stehen bleiben dürfen, kritisierte der BGH. Hier hätte das Berufungsgericht nicht von einem wirksamen Bestreiten eines Verstoßes gegen die Hygienevorschriften ausgehen dürfen, um dann auf dieser Grundlage anzunehmen, dass der Kläger den ihm obliegenden Beweis für einen Behandlungsfehler nicht erbracht habe. Das Berufungsgericht hätte stattdessen die beklagte Klinik zur Stellungnahme zu dem bisherigen Beweisergebnis auffordern müssen.

Die Karlsruher Richter rügten zudem noch ein weiteres Versäumnis: Das Berufungsgericht hätte die beklagte Klinik darauf hinweisen müssen, dass sie ihrer sekundären Darlegungslast bisher nicht nachgekommen sei hinsichtlich der Maßnahmen, die sie ergriffen habe, um sicherzustellen, dass die für ein behandlungsfehlerfreies Vorgehen maßgeblichen Hygienebestimmungen eingehalten wurden. Denn die beklagte Klinik verfügt als Betreiberin der Notaufnahme nicht nur über die Behandlungsunterlagen des Klägers, sondern auch – anders als der Kläger – über die notwendigen Informationen zu den Maßnahmen, die sie zur Einhaltung der Hygienebestimmungen und zur Infektionsprävention in der Notaufnahme unternommen hatte, und zu den dortigen Arbeitsabläufen und Arbeitsanweisungen, führte der BGH aus.

(Versicherungsrecht 72 (2021) 12: 802-803)

Schmerzensgeld für schwerst ­hirngeschädigtes Kind: ­Mindestens 500.000 Euro

Der Hinweis des Bundesgerichtshofs (BGH) aus zwei Entscheidungen in den Jahren 1992 und 1993, dass schwerst hirngeschädigten Kindern nicht nur ein symbolisches Schmerzensgeld zusteht, wurde von der Rechtsprechung alsbald aufgegriffen, berichtet der Vorsitzende Richter am OLG Köln a. D. Lothar Jaeger.

Nach 2008 lagen die Beträge durchweg bei 500.000 Euro, oft zuzüglich einer monatlichen Rente bis zu 650 Euro. Die Rechtsprechung hierzu ist allerdings nicht einheitlich.

Insbesondere müsse aber endlich der Hinweis des BGH aus der 1993 ergangenen Entscheidung beachtet werden, eine Empfindungs- und Leidensfähigkeit als ein Bemessungskriterium für die Höhe des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen, welches zu einem höheren Schmerzensgeld führe, fordert Jaeger – auch wenn diesem Leid kein eigenständiger Krankheitswert zukomme. Hirngeschädigte, die leidensfähig seien, dürften bei schweren Körperschäden nicht schlechter behandelt werden als Schwerstgeschädigte, die intellektuell unbeschädigt geblieben seien. Das Schmerzensgeld müsse in der Regel höher ausfallen.

(Versicherungsrecht (2021) 9, 557-563)

G.-M. Ostendorf, Wiesbaden