Bei unbegleiteten und ohne Papiere reisenden minderjährigen Flüchtlingen stellt sich wegen ihrer weiteren Behandlung (Aufnahme in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in Gemeinschaftsunterkünfte für Erwachsene) immer wieder die Frage nach dem wirklichen Lebensalter.
Zur Feststellung dieses Lebensalters werden im Einzelfall medizinische Gutachten in Auftrag gegeben, wobei die Autoren Nowotny, Eisenberg und Mohnike in einem Aufsatz im „Deutschen Ärzteblatt“ davor warnen, hiervon eine wirklich exakte Einschätzung dieses Alters zu erwarten. Das schon alte Verfahren des Handröntgens ließe lediglich eine grobe Schätzung zu, da die doppelte Standardabweichung des hiermit ermittelten Knochenalters 28 Monate beträgt. Auch bei Schluss der Wachstumsfugen könne daher ein tatsächliches Lebensalter unter der Volljährigkeitsgrenze vorliegen. Für den sicheren Nachweis dieser Grenze sei das Verfahren daher ungeeignet. Ein Computertomogramm der Sternoclavikulargelenke gäbe diese Informationen gleichfalls nicht, da keine zuverlässigen Mittelwerte der Knochenentwicklung vorlägen und auch bei ein und demselben Individuum die Altersdefinition der rechten und der linken Epiphysenfuge um bis zu drei Jahre differieren könne. Auch bei weiteren Merkmalen wie Zahnentwicklung und Pubertätsmerkmale lägen Schwankungsbreiten von bis zu fünf Jahren vor. MRT-Untersuchungen und auch sonographische Befunde seien einstweilen zumindest für die Einschätzung des Lebensalters noch nicht hinreichend validiert.
Zu beachten bei derartigen Begutachtungen sei aber immer auch die Strahlenbelastung bei den Röntgenuntersuchungen. Für CT-Untersuchungen im Kindesalter lägen Nachweise einer erhöhten Krebsrate im späteren Leben vor, gleiches gelte auch für Panoramaaufnahen des Gebisses. Die Strahlenbelastung durch das Handröntgen sei dagegen zwar deutlich geringer, aber auch hierfür gelte, dass jede nicht zwingend notwendige Strahlenexposition zu unterlassen sei. Ohne medizinische Indikation, so auch die Ethikkommission der Bundesärztekammer, sei ein Röntgen nicht mit dem ärztlichen Berufsethos vereinbar.
(Nowotny Th, Eisenberg W, Mohnike K: Strittiges Alter – strittige Altersdiagnostik. Deutsches Ärzteblatt 111 (2014), 18: C 642)
E. Losch, Frankfurt/Main