Nach einem Vortrag auf der Wissenschaftlichen Tagung der Gesellschaftsärzte der PKV am 14. Mai 2019 in Köln
Alternativmedizinische Krebsbehandlung ist ein häufiger Anlass für Begutachtungen in der privaten Krankenversicherung (PKV). Problematisch ist bereits die Tatsache, dass es eine allgemein anerkannte/akzeptierte positive Definition von „Alternativmedizin“ nicht gibt. Oft verwendete Begriffe wie „Regulationsmedizin“, „Erfahrungsheilkunde“ oder „moderne Naturheilverfahren“ sind kritisch zu sehen.
Daher empfiehlt sich folgende Definition alternativmedizinischer Behandlung:
- Es handelt sich um Methoden außerhalb der wissenschaftlich orientierten sog. Schulmedizin.
- Grundlagen sind spekulative Konzepte.
- Eine diagnostische Aussagekraft und/oder eine therapeutische Wirksamkeit sind nicht nachgewiesen.
Weiter sind in der Begutachtung die Vorgaben des Bundesgerichtshofs (BGH) zu beachten. So hatte der BGH mit Beschluss vom 30.10.2016 (AZ: IV ZR 307/12, Bremen) ausgeführt, dass bei lebensbedrohenden oder gar lebenszerstörenden, unheilbaren Erkrankungen die Vertretbarkeit der Behandlung (im Sinne von medizinisch notwendig) bereits dann zu bejahen sei, wenn sie als wahrscheinlich geeignet angesehen werden könne, zumindest auf eine Verlangsamung der Erkrankung hinzuwirken. Dabei reiche es aus, wenn die Behandlung nicht nur mit ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lässt. Dem stehe nicht entgegen, dass eine Behandlungsmethode noch nicht in der medizinischen Literatur nach wissenschaftlichem Standard dokumentiert worden sei.
Die oft geäußerte Annahme, Alternativmedizin sei grundsätzlich „natürlich“ und somit harmlos, trifft nicht zu, wie folgende Beispiele zeigen:
Antioxidative Vitamine werden oft unter dem Konzept verabreicht, damit freie Radikale abzufangen. Auf der Freisetzung großer Mengen freier Radikale beruht aber die Wirkung der Bestrahlung und mancher Chemotherapien. Vor einer Verabreichung von antioxidativen Vitaminen oder anderen Antioxidantien während einer Chemo- oder Strahlentherapie muss daher gewarnt werden, weil das den Effekt der Krebstherapie evtl. deutlich verringern kann.
Aus Amygdalin (häufig auch fälschlicherweise als „Vitamin B17“ bezeichnet), dem in der Alternativmedizin eine selektive Wirkung in der Krebstherapie zugeschrieben wird, wird Blausäure freigesetzt. Wegen nachgewiesener schwerer Nebenwirkungen wurde Amygdalin im Jahr 2014 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach § 5 AMG als bedenklich eingestuft, da der mögliche Schaden einer Anwendung den (nicht vorhandenen) Nutzen bei Weitem überwiegt. Die Anfertigung sowie die Abgabe von Amygdalin enthaltenden Arzneimittelzubereitungen sind somit unzulässig, auch wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt.
G.-M. Ostendorf, Wiesbaden