Auch bei psychischen Erkrankungen kommt es zur Feststellung eines objektiven Einschränkungsgrades der beruflichen Leistungsfähigkeit bei Klage auf Leistungen aus der (privaten) Berufsunfähigkeitsversicherung auf die Art und Schwere der Krankheit an. Für die Feststellung der psychischen Verfassung und der verbliebenen beruflichen Fähigkeiten darf der vom Gericht bestellte Sachverständige auch Rückschlüsse aus dem Verhalten und den Tätigkeiten des Versicherten außerhalb seines Arbeitsumfeldes ziehen, erklärte das Berliner Kammergericht mit Beschlüssen vom 21.10.2014 und 2.12.2014 (AZ: 6 U 18/13).
Der Versicherungsnehmer muss nach den einschlägigen Versicherungsbedingungen ärztlich seinen behaupteten körperlich-geistigen Gesundheitszustand nachweisen. Bei Krankheiten, die durch das Fehlen naturwissenschaftlich gewonnener Untersuchungsbefunde charakterisiert werden, kann der ärztliche Nachweis eines eingeschränkten körperlich-geistigen Gesundheitszustandes auch dadurch geführt werden, dass ein Arzt seine Diagnose auf die Beschwerdeschilderung seines Patienten stützt.
Das Abstellen auf die Beschwerdeschilderung kommt auch bei der Begutachtung von psychischen Beeinträchtigungen des Versicherungsnehmers in Betracht. Allerdings darf der Sachverständige diese Angaben nicht unbesehen hinnehmen, sondern muss sie einer eingehenden Prüfung mit den hierfür zur Verfügung stehenden Methoden und testpsychologischen Verfahren unterziehen. Ferner kommt es auch auf das Beobachten des Verhaltens des Versicherten zu den maßgeblichen Zeitpunkten der Diagnoseerstellung an.
Der Sachverständige hat im zu beurteilenden Fall diese Vorgaben beachtet. Er qualifizierte die erhobenen Befunde im Sinne einer zeitlich begrenzten An-passungsstörung auf eine berufliche Be-lastungssituation. Zudem hat er sich nicht nur auf die Schilderung der Beschwerden durch den Kläger verlassen, sondern hat auch die sonstigen Begleitumstände der seinerzeitigen Behandlungen gewürdigt sowie das sonstige Verhalten des Klägers in den Lebensbereichen, die nicht der beruflichen Tätigkeit zuzuordnen sind. Dies entspricht den Vorgaben der Rechtsprechung, erklärten die Berliner Richter.
Auch hat der Sachverständige bei seiner Anhörung ausgeführt, dass es dem Kläger nach dem objektiven Beschwerdebild und den eigenen Untersuchungsergebnissen zumutbar sei, gegen die Auswirkungen der Beschwerden „anzusteuern“.
Der Kläger kann sich weiter nicht darauf berufen, dass die verbliebenen Fähigkeiten im außerberuflichen Bereich nicht zur Beurteilung des Grades der Berufsunfähigkeit herangezogen werden dürfen. Denn es geht bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit gerade auch um die Feststellung, welche Fähigkeiten dem Kläger trotz seiner psychischen Beeinträchtigungen noch verblieben sind.
Insoweit bedarf es der Überprüfung, ob die im Grundsatz vorhandenen Fähigkeiten, die auch am konkreten Arbeitsplatz benötigt werden, gerade wegen der psychischen Beeinträchtigung für die berufliche Tätigkeit nicht mehr zur Verfügung stehen.
Dafür bestanden jedoch keine Anhaltspunkte, denn der Sachverständige stellte – in Übereinstimmung mit dem Kläger – auf eine Überlastungssituation am Arbeitsplatz ab. Der Kläger hatte auch stets die Ängste vor Überforderung, vor dem Versagen bei seiner Tätigkeit geschildert, nicht jedoch auf Ängste vor der Situation bei der Arbeit an sich abgestellt. Deswegen war es folgerichtig vom Sachverständigen ge-wesen, auf die verbliebenen Fähigkeiten im außerberuflichen Bereich abzustellen und diese heranzuziehen, so die Berliner Richter.
Eine entsprechende Einschätzung habe der Sachverständige vorgenommen und die Auffassung vertreten, dass der Kläger noch fähig sei, seinen Beruf in einem Umfang von mehr als 50 % auszuüben. Das sei plausibel, weil durch einen reduzierten Arbeitsaufwand auch die Überlastungssituation reduziert oder aufgehoben wäre.
(Versicherungsrecht 67 (2016) 11: 714-717)
Gerd-Marko Ostendorf, Wiesbaden