Männer erkranken genauso häufig an Depressionen wie Frauen, jedoch äußern sich bei ihnen andere Symptome. Eine aktuelle Studie widerlegt damit das vorherrschende Bild, dass Frauen anfälliger für die psychische Erkrankung seien. Nicht nur Traurigkeit oder vermehrtes Weinen zeichnen die Depression beim Mann aus. Viel mehr berichten Männer auch über Aggressionen und gesteigerte Risikobereitschaft. Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizinund Ärztliche Psychotherapie (DGPM) erhofft sich von der Studie einen Anstoß zum Überdenken traditioneller Diagnosekriterien und einen offeneren Umgang mit psychischen Erkrankungen bei Männern.
Frauen sind doppelt so häufig wie Männer aufgrund von Depressionen in psychischer Behandlung. Dass die Depression beim Mann damit eine vergleichsweise selten diagnostizierte Erkrankung ist, liegt nicht zuletzt an den traditionellen Diagnosekriterien: Antriebs- und Schlaflosigkeit, aber vor allem Trauer und Weinen sind Symptome, die in unserer Gesellschaft als unmännlich gelten, meint Professor Dr. med. Harald Gündel, Mediensprecher der DGPM und Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Ulm: „Mit dem Arzt über seine seelische Verfassung zu sprechen, geschweige denn von depressiven Verstimmungen zu berichten, ist für viele Männer nach wie vor ein Tabubruch“, sagt Gündel. Bereits der Männergesundheitsbericht 2013 habe gezeigt, dass seelische Leiden bei Männern zunehmen. Daraus ergäben sich Defizite in der Diagnostik und Versorgung psychischer Erkrankungen.
Ziel der „National Comorbidity Survey Replication“ zur psychischen Gesundheit war es, Gründe für die bisher beobachtete unterschiedliche Häufigkeit der Depression bei Männern und Frauen zu finden. Forscher von der Universität von Michigan werteten dafür im amerikanischen Fachblatt „JAMA“ die Daten einer landesweiten Umfrage an rund 5700 Probanden aus. Das Ergebnis der aktuellen Studie zeigt: Männer erleben die Symptome einer Depression häufig anders als Frauen und berichten von Reizbarkeit, Wutanfällen, Drogengebrauch und gesteigerter Risikobereitschaft. Basierend auf diesen Erkenntnissen haben die Forscher einen Kriterien-Katalog zusammengestellt, der sowohl traditionelle als auch typisch männliche Symptome der Depression auflistet. Angewendet auf die Studienteilnehmer, durchlitten nach den neuen Kriterien 30,6 Prozent der Männer und 33,3 Prozent der Frauen eine Depression. Somit besteht zwischen den Geschlechtern diesbezüglich kaum mehr ein Unterschied. Nach den bisher üblichen Diagnosekriterien litten 25 Prozent der Frauen und nur 12 Prozent der Männer unter Depressionen. Bisher ging die Forschung davon aus, dass Frauen stärker auf Stress reagieren und diesem auch schlechter begegnen können. Das deutsche Bundesgesundheitsministerium schätzt, dass in Deutschland vier Millionen Menschen von einer Depression betroffen sind. „Die Studie verdeutlicht, wie weit Depressionen tatsächlich verbreitet sind und legt nahe, dass wir die Symptome geschlechtsspezifisch betrachten müssen,“ betont DGPM-Sprecher Gündel.
(JAMA Psychiatry. 2013; 70 (10): 1100–1106. doi:10.1001/jamapsychiatry. 2013.1985.)
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM)