Wissenschaftler des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) und des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig haben vertragsärztliche Daten von 2009 bis 2016 ausgewertet. Eingang in die Untersuchung fanden Patienten mit leichten kognitiven Störungen (MCI) und Demenz, bei denen in mindestens zwei Quartalen eine entsprechende gesicherte Diagnose dokumentiert wurde.
Die Auswertung zeigt, dass die Behandlungsprävalenz von Demenz zwischen 2009 und 2016 von 2,52 auf 3,55 Prozent gestiegen ist. Damit hat die Zahl der Demenzpatienten in diesem Zeitraum um 40 Prozent zugenommen; von 1,01 Millionen 2009 auf 1,41 Millionen im Jahr 2016. Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft wird bis zum Jahr 2050 mit rund drei Millionen Betroffenen gerechnet. Die aktuellen Ergebnisse der Leipziger und Berliner Wissenschaftler zeigen zudem, dass Ärzte vermehrt auch leichte kognitive Störungen (MCI) diagnostizierten. 2009 waren es rund 51 000 Patienten, 2016 bereits 167 000. Das entspricht einem Zuwachs behandelter Patienten von 229 Prozent. Die Studienautoren schätzen jedoch, dass die Zahl der MCI-Patienten in Wirklichkeit noch höher ist. Leichte kognitive Störungen würden nach wie vor zu selten als solche erkannt und dokumentiert. Anzeichen wie Gedächtnisstörungen und Lernschwierigkeiten sowie eine verminderte Konzentrationsfähigkeit treten oft hinter der Tatsache zurück, dass die Betroffenen ihren Alltag noch gut bewältigen können. Die Experten schätzen, dass in der deutschen Bevölkerung bereits zwischen 1,5 und 3,7 Millionen Menschen unter leichten kognitiven Störungen leiden.
„Angesichts des demografischen Wandels mit einer immer älter werdenden Bevölkerung steht die medizinische Versorgung von Patienten mit dementiellen Erkrankungen vor großen Herausforderungen. Aufgrund nur mäßig erfolgreicher medikamentöser Therapiestrategien auf diesem Gebiet rücken sekundärpräventive Therapien in frühen Phasen der Demenzerkrankung immer stärker in den Fokus der medizinischen Versorgung. Leichte kognitive Störungen bei Patienten schnell zu diagnostizieren und insbesondere durch Hausärzte und neuropsychiatrische Fachärzte zielgerichtet zu behandeln, ist daher besonders wichtig“, erklärt der Mitautor und Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.
Dr. Dr. Jens Bohlken, Erstautor und zuständig für das Demenz-Referat im Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) bekräftigt: "In Zukunft wird eine mehrjährige haus- und fachärztliche Begleitung der Patienten mit leichten kognitiven Störungen an Bedeutung gewinnen. Dabei sollte der medizinische Versorgungs- und Beratungsbedarf unter Berücksichtigung der Erwartungen der Patienten bestimmt werden. Es können präventive, neuropsychologische, ergo- und auch psychotherapeutische Interventionen oder eine Überweisung in eine spezialisierte Gedächtnissprechstunde veranlasst werden. Besonders wichtig ist es, bei den regelmäßigen Verlaufskontrollen eine beginnende Demenz rechtzeitig zu erkennen und indikationsgerecht mit den aktuell verfügbaren Antidementiva zu behandeln."
J. Bohlken et al.:
Prävalenz von leichten kognitiven Störungen und Demenzen in der ambulanten Routineversorgung in Deutschland 2009–2016
Psychiatrische Praxis 2019; online erschienen 31.10.2019
Pressemitteilung der Thieme Gruppe